Maya und der Mammutstein
umgeben vom Zischen und Sprudeln der heißen Quellen, und setzten sich nieder und blickten auf den Rauchsee hinaus und aufs andere Ufer, wo das Wasser hohe Dampffontänen ausstieß und der Dunst wie silbriger Nebel in der Luft des Nachmittags hing.
Hier legte Geist erneut seinen Arm um sie und sagte: »Maya, wir müssen jetzt Freunde werden. Zauber ist alt. Eines Tages wird er fort sein. Und wer soll sich dann um dich kümmern?«
Sie sah in sein Antlitz hoch, so hager, so ernst. »Ich ... weiß nicht.«
Er nickte gewichtig. »Aber ich weiß es«, erklärte er.
Sie konnte nur blinzeln und sich abwenden und auf den Rauchsee hinaus starren, und so konnte sie seine Augen in dieser Sekunde nicht sehen: weit aufgerissen und schwarz und stechend, und der Rauch des Sees wurde in ihnen reflektiert, in hohen, silbrigen Säulen, ausdruckslos, leer, brennend.
In der Nacht, als Frühlingsblütes Gehirn auf die glühenden Kohlen der Grube spritzte, erwachte Geist zitternd und schweißgebadet. Die Zunge brannte ihm im Mund. Er wälzte sich zur Seite, spuckte aus und schmeckte das Kupfersalz seines eigenen Blutes. Noch nicht ganz wach, hob er die Finger an seinen Mund, fuhr sich über die Zungenoberfläche, ertastete dort einen tiefen Riß - es tat weh, daran zu fühlen! - und erkannte, daß die Geister im Schlaf Besitz von ihm ergriffen hatten. Angst schnürte ihm die Kehle zu. Die Heimsuchungen zur Nachtzeit waren die schlimmsten, denn er konnte sich nicht auf sie vorbereiten, wie er es bei den Gelegenheiten tat, die er selbst herbeiführte. Diesmal hatte er noch Glück gehabt: Er hatte sich die Zunge nicht durchgebissen. Er hatte sich nicht an ihr verschluckt, wie es ihm bereits einmal passiert war; damals hatte er nur durch Zufall überlebt: Seine Krämpfe hatten ihn wieder ins Bewußtsein zurückgeholt, kurz bevor eine tiefere Finsternis ihn hatte überwältigen können.
Geist mußte mit dem geheimen Wissen leben, daß sein eigener Körper jederzeit seinen Tod herbeiführen konnte. Es ließ ihn vieles anders sehen als jene, die die Geister nicht mit soviel Aufmerksamkeit bedacht hatten.
Die Geister konnten ihn erheben oder niederschmettern, und zu was sie sich auch entschließen würden, er hätte nicht die geringste Kontrolle dar-
über. Geist war mit der Gewißheit aufgewachsen, daß er letztendlich nichts als eine Marionette war - und daß, noch schlimmer, diejenigen, die die Fäden zogen, sich keinen Deut um ihn scherten. Er war nur ein Mittel zum Zweck, ein Werkzeug, das man je nach Laune benutzte.
Dieser Gedanke machte ihn natürlich zornig, viel zorniger, als Alter Zauber in seinen düsteren Überlegungen befürchtet hätte. Geist konnte die, mit denen er lebte, nur so sehen, wie die Geister ihn sahen - als Werkzeuge.
Die Menschen waren für ihn nicht wichtig. Nur, wenn sie auf seine eigene Existenz ein wirkten, wurden sie bedeutend für ihn. Alter Zauber war geringfügig bedeutender für ihn als zum Beispiel Haut, da Geist der Meinung war, der Schamane habe Macht über ihn. Zauber konnte ihn vermutlich verletzen, ja er mochte sogar in der Lage sein, ihn zu töten, und aus diesem Grunde nahm der alte Mann einen größeren Raum in der leeren Weite von Geists Innenleben ein.
Spätere Schamanen, von deren weit in der Zukunft liegenden Existenz Geist natürlich nicht die leiseste Ahnung hatte, hätten ihn wohl zahllosen Tests unterzogen und endlose Diskussionen geführt, ob es nun
>angeboren< oder >anerzogen< sei. War es die Epilepsie, die für seinen besonderen, zerstörerischen Gemütszustand verantwortlich war? Oder waren es die Schrecken seiner Kindheit, die fundamentale Angst vor seiner eigenen Andersartigkeit, die ihn geprägt hatten?
Geist selbst hätte beide Theorien abgelehnt. Für ihn stand fest, was ihn zu dem gemacht hatte, was er war - dasselbe scheußliche Wesen, das auch alles andere geschaffen hatte. Sie, die er haßte.
Er spuckte diesen Satz als ein einziges, langes Wort hervor, Siedieerhaßte, ein langer, geifernder Laut purer Bosheit. Siedieerhaßte besaß wesentlich mehr Realität für ihn als irgendeiner jener bleichen Schatten, mit denen er sein leeres graues Leben lebte.
Sie hatte ihn zu dem gemacht, was er war, denn sie hatte alles gemacht.
Sie war die schreckliche Mutter, die ihn geboren hatte, die ihn aus ihren abscheulichen Lenden in jene Welt gespien hatte, die ihm nichts bedeutete, weil sie ihm zwar das Leben, aber sonst nichts eingehaucht hatte.
Sie hatte ihm keine Seele
Weitere Kostenlose Bücher