Maya und der Mammutstein
eine völlig neue Empfindung -
keiner aus dem Volk außer Geist, Beere und Wolf hatten sie in letzter Zeit so berührt. (Früher einmal war sie geliebt worden, da war Blüte dagewesen und Knospe und sogar Haut, doch das war lange her und hinter einem Schleier aus Blut verborgen. Lange, lange her, und fast vergessen.)
Sie fühlte, wie etwas Heißes und Nasses über ihre Wangen rann. Wieder leckte sie sich die Lippen ab, und diesmal schmeckte sie Salz.
»Weine nicht, Maya«, sagte Geist. Er beugte sich vor und sah ihr ins Gesicht. Sie konnte die Hitze seines Atems fühlen und riechen. »Du hast wunderschöne Augen, wußtest du das?«
Diese Worte ließen sie vor Schreck fast vom Baumstamm fallen - ihre Augenl
Niemand hatte jemals so etwas über ihre Augen gesagt, über diese verhaßten, verschiedenfarbenen Augen, die das für alle sichtbare Zeichen einer tief verankerten Schande waren, an deren Ursprung sie sich nicht mehr erinnern konnte, diese Augen, die ihr jedesmal, wenn sie in eine klare Wasserfläche blickte, ins Gedächtnis riefen, daß sie anders war - ich gehöre nicht zum Volk.
Wunderschön?
Sie brach in Tränen aus und ließ den Kopf hängen, während langgedehnte, würgende Töne aus ihrer Kehle hochstiegen. Dann geschah das Seltsamste, Erschreckenste, Wundervollste, das ihr je widerfahren war. Etwas Warmes und Schweres legte sich um ihre Schultern und drückte sie sanft an eine fremde, noch stärkere Hitzequelle; die Hitze von Geists Körper, die Wärnie eines anderen menschlichen Wesens, eine Wärme, die sie für immer verloren zu haben wähnte.
Geist preßte sie fest an sich und wartete, bis ihre Schluchzer verebbten.
Dann wiegte er sie sachte hin und her, als sei sie ein Kind. Er brachte seine Lippen dicht an ihre Ohren und wis perte: »Es ist alles gut, kleine Maya. Alles gut. Alles wird gut werden.«
Nach einer Weile sagte er: »Komm, geh ein Stückchen mit mir, Maya.
Der Wald ist so angenehm jetzt, nicht wahr? Und außerdem ist es ein schöner Tag für einen kleinen Spaziergang.«
Er stand auf, nahm sie bei der Hand und zog sie sanft mit sich. Sie erhob sich wie ein Traum - ein wundervoller Traum, der, so hoffte sie plötzlich aus vollem Herzen, der nie enden durfte - und folgte ihm, während er auf dem Pfad voranging, der von Tausenden von Fährten gekreuzt wurde; er führte sie den Pfad entlang in den kühlen grünen Schutz des Waldes.
Der Kiefernduft hüllte sie ein und der schwere, durchdringende Geruch verfaulender Blätter und das gute, frische Aroma des Wassers, das im Fluß schäumte; Schwärme goldener Mücken tanzten in den schräg einfallenden Sonnenstrahlen, die den Baldachin des Blätterdachs hoch über ihnen durchbrachen; Rotkehlchen jubilierten, und Eichelhäher krächzten rauh, und von irgendwo hoch oben stieß eine einsame Ente ihren klagenden Ruf aus. Ihre nackten Füße - Geist trug eine Hose und Beinlinge, aber keine Mokassins - schritten lautlos über den warmen Staub des Pfades. Ein dünner Schweißfilm glänzte auf Geists Schultern, so daß seine Haut aussah, als sei sie aus schmelzendem braunen Eis geschnitzt.
Sie spürte, wie ihre Brüste - sie waren in letzter Zeit erheblich größer geworden - auf und ab hüpften und sanft gegen ihre Rippenbogen prallten, und diese Empfindung weckte ein ganz neues Durcheinander von Emotionen, Emotionen, die irgendwie mit Geist in Zusammenhang standen, aber nein, nicht wirklich... Und doch war sie sich seiner Gegenwart deutlich bewußt, der Art und Weise, wie seine Muskeln sich bei jeder seiner Bewegungen unter seiner Haut abzeichneten, des schwachen Pochens einer Ader an seinem schlanken Nacken, an dem die Muskelstränge hervortraten, der Art und Weise, wie er den Kopf beim Gehen ganz leicht geneigt hielt, seiner Hand, die sich um die ihre schloß, weich und trocken und warm.
War es möglich? Hatte sie sich so vollständig in ihm getäuscht? Etwas, das so in Vergessenheit geraten war, daß sie gedacht hatte, es sei für immer aus ihrem Leben verschwunden, durchbohrte sie in diesem Moment, riß ihren mühsam errichteten Schutzwall gegen alle Anfeindungen nieder: ein Gefühl der Zuneigung.
Mayas Herz ergab sich, und das bei dem unkompliziertesten aller Angriffe: einem Akt simpler Freundlichkeit.
Sie hatte keine Verteidigungsmöglichkeiten dagegen.
Sie folgte Geist blind und hoffte, daß das Ganze kein Traum sei, oder wenn dem so war, daß er nie enden werde. Und so gelangten sie schließlich zu einem sandigen Fleckchen Erde,
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