Mayabrut (German Edition)
wieder nicht zu entdecken, nur ein muskulöser Hüne hütete auf dem Plateau ein Feuer.“ Er wandte sich an Cara und drängte: „Señor Cara, inwieweit verstehen Sie das, was diese Frau sagt, und hat sie Informationen über den Kugelkopf liefern können?“
Ein ungutes Gefühl beschlich Cara. Sutins Leidensdruck war unübersehbar; das konnte ihn zu gefährlichen Schnellschüssen veranlassen. Trotzdem musste er ihn weiter hinhalten. „Señor Sutin, diese junge Frau, deren Name übrigens Cholaläl lautet, spricht einen Dialekt, der definitiv der Mayasprache Ch’ol ähnelt. Auch wenn meine Kenntnisse in dieser Sprache bescheiden sind, konnte ich sie verstehen. Es gibt aber auch einige Besonderheiten ihres Dialektes und die möchte ich Ihnen einmal an ihrem Namen erläutern.
Cholaläl, dieser Name ist aus zwei Wörtern zusammengesetzt. Die Silbe Chol ist eigentlich ein eigenständiges Wort und bedeutet Maisfeld. Der Anhang aläl steht für Abkömmling oder Pflanzenspross, während zum Beispiel alä muty kleiner Vogel bedeuten würde.“
Die Anwesenden folgten erstaunt seinem sprachlichen Exkurs. „Deshalb verwundert mich der Satzbau ihres Namens, wenn man solch einen Begriff in Bezug auf die in ihm versteckten zwei Worte verwenden kann. Chol, beziehungsweise Maisfeld, müsste eigentlich hinter aläl stehen, dann würde sich die folgende Übersetzung ergeben: Abkömmling des Maisfeldes. Wortwörtlich hieße es aber Maisfeld-Abkömmling. Bei der anderen Variante müsste das Substant iv Chol hinter dem Adjektiv alä stehen, denn wortwörtlich übersetzt bedeutet Cholaläl Maisfeld klein. Ich favorisiere deshalb eine andere, eher sinngemäße Variante, kleines Maisfeld.“
Tori nickte: „Ja, so klingt es schöner.“
„Danke Tori. Mich erinnert dies ein wenig an Beamtensprache, in der der Vorname hinter den Familiennamen gesetzt wird, aber das ist nur ein Deutungsversuch meinerseits. An dieser Stelle merken Sie, dass die Verständigung mit ihr gewisse Risiken birgt. Deshalb möchte ich betonen, dass ich keinerlei Garantie für die Richtigkeit meiner Auslegungen übernehmen kann.“
Nach dieser einleitenden Entschuldigung war es Zeit, Sutin einen kleinen Hoffnungsschimmer zu suggerieren, auch wenn er diesmal hoch pokern musste, aber wie heißt es immer bei der Nennung der Lottozahlen – alle Angaben ohne Gewähr.
„Andererseits habe ich Cholaläls Bezeichnung für Salz nicht verstanden. Sie hielt den Salzstreuer vor ihre Augen und flüsterte immer wieder das Wort Akälajaw. Ak’älel bedeutet so viel wie Nacht und das Wort ajaw stand in vorspanischer Zeit für Fürst. Wenn man die fehlende Silbe „el“ einbezieht, heißt es ungefähr, Nacht-Fürst oder, mit ein wenig künstlerischer Freiheit, Fürst der Nacht.“
Stille. Jeder überlegte, wie dieses scheinbare Rätsel zu lösen wäre. Ungerührt überging er die kreative Pause. „Da Cholaläl bei dieser Äußerung anfing zu weinen, gibt es für mich nur zwei Deutungsvarianten. Variante eins, sie war gerührt, Salz genießen zu dürfen, und Variante zwei, und da beziehe ich nun den Kugelkopf in meine Deutung ein, es ist der Name des Kugelkopfes. Wahrscheinlich hält er sich die meiste Zeit im Inneren der Pyramide auf, und dort dürfte es sicherlich nicht gerade taghell, sondern eher so finster wie die Nacht sein.“
Aufgeregt platzte Sutin dazwischen: „Señor Cara, können Sie Ihre Hypothese irgendwie beweisen?“
„Nein, aber ich benutze meinen Verstand und kombiniere das auf den Videos Gesehene mit dem, was ich von der Geretteten erfahren habe. Im ersten Video sahen wir den Kugelkopf auf dem Plateau der Pyramide und neben ihm brannte ein Feuer. An genau derselben Stelle sollte Cholaläl verbrannt werden. Als sie aber das Wort Akälajaw aussprach, zitterte ihre Stimme nicht vor freudiger Erregung, sondern vor Angst. Denken Sie an ihre Zeichnung, denken Sie an ihre Armverletzung. Celia, vielleicht kannst du uns etwas dazu sagen.“
„Ja, Vidal. Cholaläl wies nicht nur diese frische Wunde auf, sondern auch noch weitere Narben. Alle befanden sich an ganz bestimmten Körperstellen – an Stellen, wo Blutgefäße nahe unter der Haut liegen. Diese Wunden wurden ihr durch einen einzigen Schnitt beigebracht. Aus der Sicht eines Mediziners gesehen, ähneln diese Verletzungen denen von Aderlässen.“
„Danke Celia, deine Ausführungen und die augenscheinlichen Verletzungen dürften Beweis genug sein, dass Cholaläl kaum vorstellbare Grausamkeiten
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