Mayabrut (German Edition)
Reaktion unverständlich. Entweder zuckte sie mit ihren Schultern oder sie sagte - Käbäl Jabil. Hilflos übersetzte er: „Sehr, sehr viele Jahre.“
Diese Antwort schien Sutin aber zu beruhigen und er bot die verbale Friedenspfeife an, indem er ihn nun beauftragte, nach ihren Wünschen und den Wünschen der Talbewohner zu forschen.
Cholaläl hatte nur den Wunsch, bei ihnen bleiben zu dürfen. Den Talbewohnern fehle es vor allem an Nahrung und Kleidung, aber auch Geschirr sei Mangelware. Aber eine riesige Freude könne man allen mit Salz bereiten, endete sie. Sutin nahm sein Handy und sprach kurz mit seinem Piloten Ed.
10. Die Mayasiedlung
Yäx Tyuñ Tal, Nördliches Andengebiet
Freitag, 21. September 2012
Gespannt beobachtete Cara Cholaläl. Sie drückte ihre Stirn gegen das runde Fenster des Chinooks und starrte nach unten. Woran sie wohl dachte? Er folgte ihrem Blick und sah einen silbrig glänzenden Fluss, der sich wie eine Schneckenspur durch den Regenwald schlängelte. Unter ihnen flogen grüne Wolken vorbei, die mächtige Baumriesen bedeckten, unter deren Dach sich die lautlosen Tragödien des Dschungels abspielten.
Da unten trat Gevatter Tod still in vielerlei Gewand auf. Ein Piecks der bunten Korallenotter und der ewige Schlaf begann. Der malmende Würgegriff der Anakonda, und die Knochen brachen, oder der Beutesprung des Jaguars, der seinem Opfer die Kehle zerfetzte. Die da unten machten einen guten, einen stillen Job. Das Brechen der Knochen, der Todesschrei der geschlagenen Beute, das war ihr Applaus.
Cholaläl zog ihn am Arm und beendete seine Grübeleien. Sie deutete aufgeregt nach unten. Er folgte ihrem Blick und sah in der Flussmitte eine Sandbank, auf der sich Kaimane sonnten. Er nickte, schwieg aber, da ihre Stirn schon wieder am Fenster des Chinooks klebte. Es faszinierte ihn, wie selbstverständlich und bedingungslos Cholaläl ihr altes Ich gegen ein neues Leben tauschte.
Erinnerungen an Berichte von angeblichen Entführungsopfern Außerirdischer drängten sich in sein Bewusstsein. Genauso musste sie sich am Anfang gefühlt haben. Fast ohnmächtig vor Schmerz und betäubt von giftigem Rauch, war dieses fremde Etwas auf sie zugeflogen und hatte sie aus ihrem hungernden Steinzeitdorf in ein Schlaraffenland mit klimatisierten Wohncontainern katapultiert, in denen sie per Fingerdruck Wasser und Licht beherrschte.
Plötzlich fröstelte ihn. Es war knapp eine Woche her, dass er Cholaläl vor dem von Akälajaw befohlenen Feuertod gerettet hatte. Und nun flogen sie seinem dunklen Reich entgegen. Dies alles war so surreal. Er, Vidal Cara, der kleine Hobbyarchäologe, saß in einem Helikopter und wurde zu einer unbekannten Mayakolonie geflogen, während keiner der renommierten Experten überhaupt nur ahnte, was für eine archäologische Sensation hier in den kolumbianischen Anden lauerte.
Unwillkürlich drängte sich ihm wieder das magische Datum des Mayakalenders auf. Er war zwar ein stets nüchtern denkender und knallhart kalkulierender Geschäftsmann, und doch waberte dieser 21. Dezember 2012 immer wieder in seinem Inneren auf. Es ärgerte ihn, dass seiner geliebten Mayawelt esoterisch angehauchte Weltuntergangs-Konstrukte unterstellt wurden. Doch andererseits war er aber auch ein Mensch, der seinen natürlichen Instinkten, seinem Bauchgefühl vertraute, und dessen Sirene ertönte tagtäglich.
Das, was Cholaläl erzählt hatte, war einerseits so grausam und andererseits doch so bezeichnend, dass es völlig mit den blutigen Mayaritualen von einst übereinstimmte. Eigentlich waren die Blutsaugereien von Akälajaw noch harmlos gegenüber den üblichen Ritualen von einst oder den Selbstkasteiungen der damaligen Mayafürsten. Es musste für die Mayakönige unglaublich schmerzhaft gewesen sein, sich den Penis oder die Zunge mit einem Rochenstachel durchstechen zu lassen. Dass durch diese Wunden noch eine Dornenschnur gezogen wurde, das überfordert unser heutiges Vorstellungsvermögen absolut. Und dies alles nur, um möglichst viel des edlen Fürstenblutes den Göttern zu opfern. Auch wenn er nicht über das Fachwissen renommierter Forscher verfügte, setzte er sich kritisch mit deren Meinungen und Dogmen auseinander. Das Wissen über die Mayakultur war zwar durch moderne Forschungsmethoden enorm erweitert worden, aber letztendlich war es auch in sich erstarrt.
Auch die Art, in der man in Sutins Camp auf die technische Überlegenheit der Neuzeit setzte, die Notebooks, Generatoren,
Weitere Kostenlose Bücher