Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
hätte uns genügt, es war ein böser Streich des Schicksals, dass wir im letzten Moment, dreißig Sekunden vor Abpfiff, noch ein Tor kassierten. Pedro Pelanchugay wehrte unter dem ohrenbetäubenden Jubel unserer Anhänger und den Pfiffen unserer Gegner einen granatenmäßigen Torschuss mit dem Kopf ab, war aber von dem Aufprall noch benommen, als so eine Mistsocke aus der zweiten Reihe die Kugel mit der Fußspitze seelenruhig ins Netz schob. Erst allgemeines Entsetzen, ein paar lange Sekunden völliger Lähmung, dann brach das Kriegsgeschrei los, und es flogen Bierdosen und Limoflaschen aufs Spielfeld. Don Lionel und ich hätten fast zusammen einen Herzstillstand erlitten.
Noch am gleichen Nachmittag ging ich zu ihm, ummeine Wettschulden zu begleichen. »Wo denkst du hin, Gringuita! Die Wette war doch ein Witz«, versicherte mir der Millalobo, aber wenn ich in Ñancupels Taverne eines gelernt habe, dann, dass Wettschulden Ehrenschulden sind. Ich ging in einen kleinen Männerfriseurladen, wo der Chef persönlich schneidet, mit einem Lampenrohr in Blau-Weiß-Rot an der Tür und einem einzigen thronähnlichen Friseurstuhl drinnen, auf dem ich mit einigem Bedauern Platz nahm, weil Daniel das überhaupt nicht gut finden wird. Der Friseur rasierte mir sehr gekonnt den Kopf und brachte meinen Schädel mit einem Wildledertuch auf Hochglanz. Meine Ohren sehen überdimensioniert aus wie die Henkel einer etruskischen Vase, und meine Kopfhaut ist buntscheckig wie eine Landkarte von Afrika, was, wie der Friseur sagte, von den billigen Haarfärbemitteln herrührt. Er empfahl Abreibungen mit Zitronensaft und Chlor. Die Mütze ist notwendig, denn die Flecken sehen ansteckend aus.
Don Lionel fühlt sich schuldig und weiß nicht, wie er das wiedergutmachen soll, was aber gar nicht nötig ist, schließlich ist eine Wette eine Wette. Er hat Blanca gebeten, ein paar schicke Hüte für mich zu kaufen, damit ich nicht herumlaufen muss wie eine Lesbe auf Chemotherapie, wie er unverblümt gesagt hat, aber meine chilotische Wollmütze passt besser zu mir. Hierzulande sind die Haare ein Symbol für Weiblichkeit und Schönheit, die jungen Frauen tragen ihr Haar lang und pflegen es nach allen Regeln der Kunst. Was für ein mitleidiges Ach und Weh, als ich kahlköpfig in der Ruca erschien, eine Außerirdische zwischen diesen schönen strahlenden Frauen mit ihren üppigen Renaissancemähnen.
Manuel hatte eine Tasche mit ein bisschen Kleidung und seinem Manuskript gepackt, das er mit seinem Verleger besprechen wollte, und rief mich ins Wohnzimmer, um mir vor seiner Abreise nach Santiago letzte Anweisungen zu geben. Ich erschien mit meinem Rucksack über der Schulter und dem Ticket in der Hand und teilte ihm mit, er werde in den Genuss meiner Gesellschaft kommen, eine kleine Aufmerksamkeit von Don Lionel Schnake. »Und wer kümmert sich um die Tiere?«, versuchte er einen schwachen Widerstand. Ich erklärte ihm, Juanito werde Fákin mit zu sich nehmen und einmal am Tag die Katzen füttern, es sei alles geregelt. Mit keinem Wort erwähnte ich den verschlossenen Umschlag, den mir der wunderbare Millalobo in die Hand gedrückt hatte, damit ich ihn diskret an den Neurologen weitergebe, der, wie sich herausgestellt hat, zur Familie der Schnakes gehört, er ist nämlich mit einer Cousine von Blanca verheiratet. Das Netz der Beziehungen in diesem Land ist wie das schillernde Spinnennetz aus Galaxien, von dem mein Pop mir erzählt hat. Manuel sträubte sich vergebens und musste mich schließlich mitnehmen. Wir fuhren nach Puerto Montt und nahmen dort das Flugzeug nach Santiago. Für die Strecke, die ich in zwölf Stunden mit dem Bus nach Chiloé gefahren war, brauchten wir eine Stunde.
»Was ist los, Manuel?«, fragte ich kurz vor der Landung in Santiago.
»Nichts.«
»Was soll das heißen, nichts? Du hast kein Wort mit mir geredet, seit wir von zu Hause weg sind. Geht’s dir nicht gut?«
»Doch.«
»Also bist du sauer.«
»Dass du entschieden hast, mitzukommen, ohne mich zu fragen, ist sehr aufdringlich.«
»Hör zu, Manuel, ich habe dich nicht gefragt, weil du nein gesagt hättest. Man bittet besser um Verzeihung als um Erlaubnis. Verzeihst du mir, bitte?«
Dazu fiel ihm nichts ein, und bald besserte sich seine Laune. Wir fuhren in ein kleines Hotel im Zentrum, jeder bekam ein eigenes Zimmer, weil er sich keins mit mir teilenwollte, obwohl er weiß, wie schwer es mir fällt, allein zu schlafen, und dann lud er mich zu einer Pizza und ins Kino
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