Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
auszuspionieren. Wenn schon die Unschuldigen sich vorsehen müssen, dann du erst recht, hör bitte auf mich«, schärfte meine Nini mir ein, als wir uns im Januar in San Francisco voneinander verabschiedeten. Weil nämlich einer dieser Unschuldigen, ihr Freund Norman, dieser hinterhältige Computercrack, der ihr damals in Berkeley geholfen hatte, meine E-Mails und meinen Handy-Speicher zu knacken, auf die Idee gekommen war, im Internet Witze über Bin Laden zu verbreiten, und es dauerte keine Woche, dastanden zwei FBI-Agenten bei ihm daheim auf der Matte, um ihn zu verhören. Obama hat die von seinem Vorgänger aufgebaute Maschinerie zum Ausspähen von Privatleuten unangetastet gelassen, deshalb kann man nicht vorsichtig genug sein, sagt meine Großmutter, und Manuel ist ganz ihrer Meinung.
Manuel und meine Nini haben einen Code, um über mich zu sprechen: Ich bin das Buch, an dem Manuel schreibt. Will er ihr zum Beispiel eine Vorstellung davon vermitteln, wie ich mich in Chiloé eingelebt habe, dann schreibt er, sein Buch komme besser voran als gedacht, er habe keine ernsthaften Schwierigkeiten damit, und die Chiloten, die ja normalerweise eher verschlossen seien, würden ihn unterstützen. Meine Nini muss sich nicht so sehr vorsehen, wenn sie an ihn schreibt, sofern sie es nicht von ihrem eigenen Computer aus tut. So habe ich erfahren, dass die Scheidung meines Vaters inzwischen rechtskräftig ist, er weiter in den Mittleren Osten fliegt, Susan aus dem Irak zurück und jetzt für die Sicherheit im Weißen Haus zuständig ist. Meine Großmutter hält weiter Kontakt zu ihr, denn die beiden sind trotz der anfänglichen Reibereien, als die Schwiegermutter sich zu sehr in die Angelegenheiten der Schwiegertochter einmischte, Freundinnen geworden. Ich werde Susan auch schreiben, sobald meine Lage das zulässt. Ich will sie nicht verlieren, sie ist wirklich lieb zu mir gewesen.
Meine Nini arbeitet weiter in der Bibliothek, begleitet die Sterbenden, die von der Hospizstiftung betreut werden, und hilft Mike O’Kelly. Der Verbrecherclub hat landesweit für Aufsehen gesorgt, weil zwei seiner Mitglieder die Identität eines Serienmörders in Oklahoma aufgedeckt haben. Was die Polizei mit neuester Ermittlungstechnik nicht hinbekam, gelang den beiden durch logische Schlussfolgerung. Als das bekannt wurde, gab es eine Lawine von Anträgen zur Aufnahme in den Club. Meine Nini würde von den neuen Mitgliedern gern einen Monatsbeitrag erheben, aber Mike ist der Ansicht, damit würden sie ihre Ideale verraten.
»Diese Druckplatten von Adam Trevor können eine Katastrophe im internationalen Wirtschaftssystem auslösen. Die sind eine Art Atombombe«, sagte ich zu Manuel, nachdem ich den Artikel gelesen hatte.
»Sie liegen in der Bucht von San Francisco auf dem Meeresgrund.«
»Da wäre ich mir nicht so sicher, und selbst wenn, weiß das FBI nichts davon. Was machen wir bloß, Manuel? Wenn sie mich vorher wegen ein paar Bündeln Falschgeld gesucht haben, dann doch erst recht jetzt wegen der Platten. Die setzen bestimmt alle Hebel in Bewegung, um mich zu finden.«
Freitag, der 27. November 2009. Dritter Trauertag. Seit Mittwoch war ich nicht arbeiten, habe das Haus nicht verlassen, meinen Schlafanzug nicht ausgezogen, hatte keinen Appetit, zankte mit Manuel und Blanca. Tage ohne Trost in einer Achterbahn der Gefühle. Noch kurz bevor ich an diesem unseligen Mittwoch zum Telefon griff, flatterte ich hoch oben im Licht und im Glück, dann stürzte ich bleischwer ab wie ein Vogel, dem man durchs Herz geschossen hat. Drei Tage war ich außer mir, klagte aus vollem Hals über meine Liebe und meine Fehler und meinen Kummer, bis ich heute endlich sagte: »Es reicht!«, mich unter die Dusche stellte, das gesamte Wasser aus dem Tank verbrauchte, mir den Schmerz mit Seife runterwusch und mich danach auf der Terrasse in die Sonne setzte, um das Toastbrot mit Tomatenmarmelade zu essen, das Manuel mir gemacht hatte und das mich nach meinem besorgniserregenden Anfall von Liebesirrsinn erfreulicherweise wieder zur Besinnung brachte. Ich konnte meine Lage etwas neutraler betrachten, auch wenn ich wusste, dass die beruhigende Wirkung der Brote nicht von Dauer sein wird. Ich habe viel geweintund werde weiter weinen, solange es aus Selbstmitleid und Liebeskummer notwendig ist, schließlich weiß ich, wohin es führt, wenn ich versuche, die starke Frau zu markieren, wie nach dem Tod meines Großvaters. Außerdem kümmert meine Flennerei keinen, Daniel
Weitere Kostenlose Bücher