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Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Titel: Mayas Tagebuch: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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abdrehte und wie vom Blitz getroffen zusammenbrach, griff aber erst ein, als er sie dabei ertappte, dass sie das bisschen Geld, das ihr geblieben war, dafür ausgab, in Kontakt mit ihrem verstorbenen Ehemann zu treten. Er fuhr ihr nach Oakland nach und holte sie aus dem mit Sternbildern bemalten Trailer einer Seherin, die gegen gutes Geld eine Verbindung zwischen Hinterbliebenen und ihren Toten herstellte, einerlei ob Angehörigen oder Haustieren. Meine Nini ließ sich zu einem Psychiater bringen, der mit zwei Sitzungen in der Woche begann und sie mit Pillen vollstopfte. Sie »bewältigte« ihre Trauer nicht und weinte weiter um meinen Pop, wurde die lähmende Schwermut aber los, in der sie versunken gewesen war.
    Nach und nach kroch meine Nini aus ihrem Bau über der Garage zurück in die Welt, wo sie überrascht feststellte, dass die nicht stehengeblieben war. Binnen kurzer Zeit war der Name Paul Ditson II wie ausgelöscht, nicht einmal ihreEnkelin sprach mehr von ihm. Ich hatte mich wie ein Käfer unter einen Panzer zurückgezogen und ließ niemanden an mich heran. Ich wurde zu einer Fremden, trotzig, mürrisch, gab keine Antwort, wenn man mit mir sprach, fegte durch die Wohnung wie eine Windbö, half nicht im Haushalt und machte mich bei der geringsten Kritik türenschlagend davon. Laut dem Psychiater meiner Nini litt ich unter dem Heranwachsen und hatte außerdem eine Depression, deshalb riet er ihr, mich bei einer Gruppe für trauernde Jugendliche anzumelden, aber ich wollte nichts davon wissen. In den dunkelsten Nächten, wenn meine Verzweiflung am größten war, spürte ich meinen Pop bei mir. Meine Traurigkeit beschwor ihn herauf.
    Meine Nini hatte dreißig Jahre an der Brust ihres Mannes geschlafen und war vom gleichmäßigen Raunen seines Atems gewiegt worden; ihr Leben war sorgenfrei gewesen und wohlbehütet in der Wärme ihres fürsorglichen Ehemanns, der ihren Horoskopspleen, ihren Hippiestil, den politischen Extremismus und ihre fremdartigen Kochgewohnheiten liebenswert fand, der ihre Launen und sentimentalen Anwandlungen bereitwillig ertrug und auch ihre jähen Vorahnungen, derentwegen wir oft die schönsten Familienpläne über den Haufen warfen. Als sie am dringendsten Trost gebraucht hätte, war ihr Sohn nicht zur Hand, und ihre Enkelin war tobsüchtig geworden.
    Da tauchte Mike O’Kelly wieder auf, der noch einmal am Rücken operiert worden war und Wochen in einer Reha-Klinik verbracht hatte. »Du hast mich nicht einmal besucht, Nidia, nicht mal angerufen«, sagte er zur Begrüßung. Er hatte zehn Kilo abgenommen und sich einen Bart stehen lassen, fast hätte ich ihn nicht erkannt, er sah älter aus und nicht mehr wie der Sohn meiner Nini. »Was kann ich tun, damit du mir verzeihst, Mike?«, sagte sie, über seinen Rollstuhl gebeugt. »Back Kekse für meine Jungs.« Meine Nini musste sie allein backen, denn ich erklärte, ich hätte genugvon Schneewittchens reuigen Kleinkriminellen und überhaupt würde mich dieses ganze Gutmenschengetue einen Scheiß interessieren. Meine Nini hob die Hand und wollte mir eine kleben, was ich übrigens verdient gehabt hätte, aber ich packte ihr Handgelenk und hielt es fest. »Schlag mich noch einmal, und du siehst mich nie wieder, verstanden?« Sie verstand.
    O’Kellys Besuch war der Weckruf, den meine Großmutter gebraucht hatte, um auf die Füße zu kommen und einen Schritt nach vorn zu tun. Sie fing wieder in der Bibliothek an, obwohl ihr keine neuen Geschichten mehr einfielen und sie nur die alten wiederholte. Sie unternahm lange Wanderungen durch den Wald und besuchte das Zen-Zentrum. Ihr fehlt jedes Talent zur Gelassenheit, doch in der erzwungenen Ruhe der Meditation rief sie meinen Pop, und er kam und setzte sich wie ein sanfter Schemen zu ihr. Ein einziges Mal ging ich an einem Sonntag mit zu einer Zendo-Zeremonie und hörte mir missmutig eine Geschichte über Mönche an, die das Kloster fegen, von der ich rein gar nichts begriff. Als ich meine Nini da im Lotussitz zwischen kahlgeschorenen, in kürbisfarbene Tücher gehüllten Buddhisten sah, bekam ich eine Vorstellung davon, wie einsam sie war, aber mein Mitgefühl währte nur kurz. Schon als danach alle zusammen grünen Tee tranken und süße Vollkornteilchen aßen, hasste ich sie wieder, wie ich die ganze Welt hasste.
    Keiner sah mich mehr weinen, nachdem wir meinen Pop eingeäschert hatten und seine Asche in einer Keramikurne ausgehändigt bekamen; ich erwähnte ihn mit keinem Wort und erzählte

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