Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
»Chiloé, du musst deine Kartoffel hüten, hüten musst du sie, Chiloé, sonst kommt einer von anderswo und nimmt sie dir, Chiloé.« Die Leute klagen über die Lachsfarmen, die hier kräftig Schaden angerichtet haben, und über die Regierung, die viel verspricht und wenig hält, aber alle sagen, Michelle Bachelet sei besser als alle Präsidenten vor ihr, obwohl sie eine Frau ist – nobody is perfect.
Manuel ist weit davon entfernt, perfekt zu sein; er ist spröde, mürrisch, hat nicht so einen Bauch zum Ankuscheln und keinen poetischen Blick auf das Universum oder in die Herzen der Menschen wie mein Pop, aber ich muss zugeben, ich habe ihn gern. Ich habe ihn genauso gern wie Fákin, und das, obwohl er sich kein bisschen anstrengt, um von anderen gemocht zu werden. Seine größte Macke ist sein Ordnungswahn, im Haus sieht es aus wie in einer Militärkaserne, manchmal lasse ich absichtlich etwas herumliegen oder spüle die Teller in der Küche nicht gleich ab, damit er lernt, sich mal ein bisschen locker zu machen. Wir streiten uns nicht richtig, sind aber schon ein paarmal aneinandergeraten. Heute hatte ich zum Beispiel nichts zum Anziehen, weil ich vergessen hatte, Eduvigis meine Wäsche mitzugeben, also nahm ich ein paar von Manuels Sachen, die zum Trocknen am Ofen hingen. Ich dachte, wenn andere hier alles Mögliche mitnehmen können, kann ich mir auch etwas ausleihen, das er gerade nicht benutzt.
»Das nächste Mal fragst du mich bitte, bevor du meine Unterhosen anziehst«, sagte er in einem Tonfall, der mir nicht gefiel.
»Sei doch nicht so kleinkariert, Manuel! Man könnte ja meinen, du hast keine anderen«, gab ich in einem Tonfall zurück, der ihm vielleicht nicht gefiel.
»Ich nehme nie was von dir, Maya.«
»Weil ich nichts habe! Hier hast du deine blöde Unterhose wieder!« Und ich machte Anstalten, meine Hose auszuziehen, um sie ihm zurückzugeben, aber er hielt mich entsetzt zurück.
»Nein, nein! Ich schenk sie dir, Maya.«
Da brach ich völlig idiotisch in Tränen aus. Natürlich nicht wegen der blöden Unterhose, weiß der Himmel, wieso ich heulen musste, vielleicht weil ich meine Tage kriege oder weil ich gestern Nacht daran gedacht habe, wie mein Pop gestorben ist, und den ganzen Tag schon traurig war. Mein Pop hätte mich in den Arm genommen, und zwei Minuten später hätten wir zusammen gelacht, aber Manuel fing an herumzutigern, kratzte sich am Kopf und trat gegen die Möbel, als hätte er noch nie im Leben jemanden flennen sehen. Schließlich kam ihm die brillante Idee, mir einen löslichen Kaffee mit Kondensmilch zu machen; das brachte mich ein biss-chen runter, und wir konnten reden. Er sagte, ich solle versuchen, ihn zu verstehen, er habe seit zwanzig Jahren mit keiner Frau unter einem Dach gelebt, habe seine eingefleischten Gewohnheiten, Ordnung sei wichtig auf so engem Raum, und das Zusammenleben einfacher, wenn wir die Unterwäsche des jeweils anderen respektierten. Der Ärmste.
»Hör mal, Manuel, ich verstehe eine Menge von Psychologie, schließlich habe ich über ein Jahr unter Spinnern und Therapeuten gelebt. Dein Fall ist sonnenklar, und ich kann dir sagen, was du hast, ist Angst.«
»Und wovor?« Er lächelte.
»Weiß ich nicht, kann ich aber rausfinden. Wenn ich es dir sage: Das mit der Ordnung und dem Raum sind Anzeichen für eine Neurose. Was für ein Aufstand wegen einerjämmerlichen Unterhose! Wenn dagegen irgendwer deine Anlage mitnimmt, zuckst du nicht mit der Wimper. Du versuchst alles zu kontrollieren, vor allem deine Gefühle, damit du dich sicher fühlst, dabei weiß jeder Depp, dass es auf dieser Welt keine Sicherheit gibt, Manuel.«
»Aha. Interessant …«
»Nach außen tust du gelassen und distanziert wie Siddhartha, aber mir machst du nichts vor. Ich weiß, in dir sieht’s übel aus. Siddhartha kennst du, oder? Buddha.«
»Ja, sicher. Buddha.«
»Lach nicht. Die Leute halten dich für weise und meinen, du hättest inneren Frieden oder sonst was gefunden. Bei Tag bist du die Ruhe und Ausgeglichenheit in Person, wie Siddhartha eben, aber ich höre dich nachts, Manuel. Du schreist und wimmerst im Schlaf. Was gibt es da so Schreckliches, das keiner wissen soll?«
Bis dahin und nicht weiter ging unsere Therapiesitzung. Er setzte seine Mütze auf, zog die Jacke an, pfiff Fákin zu sich, und ging mit ihm spazieren, fuhr mit dem Boot raus oder beklagte sich bei Blanca über mich. Er kam sehr spät zurück. Ich fürchte mich zu Tode, wenn ich nachts allein in
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