Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
mich an seiner Seite haben, er sagte, er vertraue mehr auf mein als auf sein Gedächtnis. Er war ein Nachttier, verschlief den Tag in seinem klimatisierten Zimmer, ging gegen Abend in den Club, ließ sich massieren, benutzte die Sauna oder das Dampfbad und machte dann nachts seine Geschäfte. Wir sahen uns im Club, kamen aber nie zusammen dort an, und die Losung lautete, so zu tun, als würden wir uns nicht kennen; ich durfte mit niemandem sprechen, was sehr schwierig war,denn ich ging jeden Tag hin und sah die immer gleichen Gesichter.
Leeman war bei seinen Giften anspruchsvoll, wie er sagte, Bourbon nur der teuerste und Heroin nur das sauberste, fünf- bis sechsmal am Tag gespritzt, jeweils mit einer neuen Nadel. Er hatte immer so viel zur Hand, wie er haben wollte, und hielt sich an seine Routine, war nie dem Grauen des Entzugs ausgeliefert wie andere arme Teufel, die sich am ganzen Leib zitternd vor seine Tür schleppten. Ich sah ihm zu bei seinem Ritual, sah den Löffel über der Kerze oder dem Feuerzeug, die Spritze, die Gummipresse am Arm oder Bein, bewunderte ihn für die Entschlossenheit, mit der er in seine geschundenen, kaum noch zu erkennenden Venen stach, sogar an der Leiste, am Bauch oder Hals. Wenn seine Hand zu stark zitterte, ließ er sich von Freddy helfen, denn ich war dazu nicht in der Lage, mir graute vor Spritzen. Leeman war schon so lange auf Heroin, dass er eine Dosis vertrug, die für jeden anderen tödlich gewesen wäre.
»Heroin bringt keinen um, aber das Leben, das die Süchtigen führen, die Armut, die Unterernährung, die Infektionen, der Dreck, die gebrauchten Spritzen«, erklärte er.
»Warum lässt du mich dann nicht probieren?«
»Weil ich dich nicht brauchen kann, wenn du an der Nadel hängst.«
»Bloß einmal, damit ich weiß, wie das ist.«
»Nein. Du kriegst genug anderes Zeug von mir.«
Ich bekam Alkohol, Gras, Halluzinogene und Pillen von ihm, die ich mir wahllos einwarf, machte mir keine Gedanken um die Folgen, wollte bloß, dass sie meine Wahrnehmung veränderten und mir halfen, der Realität zu entkommen, der Stimme meiner Nini, die mich rief, meinem Körper, meiner Angst vor der Zukunft. Zweifelsfrei erkannte ich nur die Schlaftabletten, weil sie orange waren und ein Segen für mich, da sie meine chronische Schlaflosigkeit niederrangen und mir einige Stunden traumloser Ruhe schenkten. Mein Boss ließ mich die eine oder andere Line Kokain ziehen, damit ich bei der Arbeit wach und bei Laune blieb, verbot mir aber Crack, das er auch bei seinen Bodyguards nicht duldete. Joe Martin und der Chinese waren von allem möglichen anderen Zeug abhängig. »Dreck für Loser«, sagte Leeman, dabei waren die Cracksüchtigen seine besten Kunden, er konnte sie ausquetschen bis aufs Blut, sie zum Klauen oder auf den Strich schicken, sie ließen sich restlos herabwürdigen für die nächste Dosis. Ich kann nicht sagen, wie viele dieser lebenden Toten um uns herumstrichen, Gerippe mit triefenden Nasen und eiternden Geschwüren, fahrig, zitternd, schwitzend, gefangen in ihren Halluzinationen, nicht ansprechbar und verfolgt von Stimmen und Ungeziefer, das ihnen durch alle Öffnungen in den Körper kroch.
Freddy durchlitt diese Zustände, das arme Kind, mir tat es in der Seele weh, ihn so zu sehen. Manchmal half ich ihm, den Brenner an die Pfeife zu halten und wartete so angespannt wie er, dass in der Hitze die gelben Kristalle mit einem Knacken aufbrachen und der ersehnte Qualm den Glaskolben füllte. Binnen Sekunden hob Freddy ab in eine andere Welt. Die Freude, die Großartigkeit und Euphorie hielten nur Augenblicke vor, danach versank er erneut in Agonie, in einem tiefen, lichtlosen Schacht, aus dem ihn nur die nächste Dosis holen konnte. Er brauchte immer mehr, um sich am Leben zu halten, und Brandon Leeman, der ihn gern hatte, gab es ihm. »Warum helfen wir ihm nicht, einen Entzug zu machen?«, fragte ich Leeman einmal. »Für Freddy ist es zu spät, vom Crack führt kein Weg zurück. Deshalb musste ich mich auch von anderen Mädchen trennen, die vor dir für mich gearbeitet haben.« Ich verstand das so, dass er sie entlassen hatte. Mir war nicht klar, dass mit »sich trennen« in diesem Metier in der Regel etwas Unwiderrufliches gemeint ist.
Der Überwachung durch Joe Martin und den Chinesen, die mich im Auge behalten sollten, konnte ich nicht entgehen, dafür nahmen sie ihre Aufgabe zu ernst. Der Chinese, ein scheues Wiesel, sagte nie ein Wort zu mir und sah mich auch nicht an,
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