Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
verstanden?«
»Ja.«
»Wir streuen im Viertel das Gerücht, dass du mein Mädchen bist, damit es keine Probleme gibt. Keiner wird es wagen, dich zu belästigen.«
Leeman schickte seine Partner, eine neue Matratze und Laken für mein Bett kaufen, dann brachte er mich in den edlen Frisiersalon eines Fitnessclubs, wo ein Mann mit Ringen im Ohr und himbeerfarbener Hose angesichts meiner grellen Regenbogenhaare entgeisterte Schreie ausstieß und zum Ergebnis kam, die einzige Lösung bestehe in Abschneiden und Bleichen. Zwei Stunden später erblickte ich im Spiegel einen skandinavischen Hermaphroditen mit übertrieben langem Hals und Mauseohren. Von den chemischen Bleichmitteln stand meine Kopfhaut in Flammen. »Todschick«, fand Brandon Leeman, und nahm mich dann mit auf eine Pilgerwanderung durch die Malls am Boulevard. Er hatte eine erstaunliche Art einzukaufen: Wir gingen in ein Geschäft, er ließ mich mehrere Stücke anprobieren, suchte eins aus, das er mit großen Scheinen bezahlte, steckte das Wechselgeld ein, ging mit mir in den nächsten Laden und kaufte dort dasselbe, was ich vorher anprobiert hatte, er aber nicht hatte haben wollen. Auf meine Frage,ob wir nicht sinnvoller alles in einem Geschäft besorgten, gab er mir keine Antwort.
Meine neue Garderobe bestand aus mehreren sportlichen Outfits, nichts Aufreizendes oder Protziges, außerdem kauften wir ein schlichtes schwarzes Kleid, Sandalen für tagsüber und ein Paar goldene mit Absatz, etwas Make-up und zwei große Handtaschen, auf denen das Emblem des Designers nicht zu übersehen war und die nach meiner Schätzung jeweils so viel kosteten wie der VW meiner Großmutter. Leeman meldete mich in seinem Fitnessclub an, wo sie mir auch die Frisur in Ordnung gebracht hatten, und riet mir, so oft wie möglich hinzugehen, da ich tagsüber mehr als genug freie Zeit haben würde. Er bezahlte bar mit Scheinen, die von einem Gummiband zusammengehalten wurden, und niemand schien sich zu wundern; offenbar floss das Bare in dieser Stadt wie Wasser. Mir fiel auf, dass Leeman immer mit Hundertdollarnoten zahlte, auch wenn der Preis ein Bruchteil betrug, und ich fand keine Erklärung für diesen Spleen.
Gegen zehn am Abend stand meine erste Übergabe an. Sie setzten mich vor dem Mandalay Bay Hotel ab. Wie Leeman mir aufgetragen hatte, ging ich zum Pool, wo ein Pärchen auf mich zukam, das mich an der Handtasche erkannte, die Leeman ihnen offensichtlich als Erkennungszeichen genannt hatte. Die Frau, die ein langes Strandkleid und eine Halskette aus Glasperlen trug, sah mich gar nicht an, aber der Mann, in grauer Hose, weißem Polohemd und ohne Socken, gab mir die Hand. Wir sprachen kurz etwas Belangloses, ich übergab ihnen unauffällig die Ware, erhielt dafür zwei gefaltete Hundertdollarscheine in einer Broschüre für Touristen, und wir verabschiedeten uns.
Aus der Lobby rief ich übers Haustelefon beim nächsten Kunden an, fuhr hoch in den zehnten Stock, spazierte an einem Wachmann vorbei, der neben dem Aufzug stand und mir keine Aufmerksamkeit schenkte, und klopfte andie fragliche Tür. Ein etwa fünfzigjähriger Mann, barfuß und im Bademantel, bat mich herein, bekam das Tütchen, bezahlte, und ich machte, dass ich wegkam. In der Tür begegnete ich einem Traum aus den Tropen, einer schönen Mulattin in Lederkorsett, sehr knappem Rock und Stilettos; es musste eine Dame vom Begleitservice sein, wie die Prostituierten dieser Kategorie inzwischen genannt werden. Wir musterten einander von Kopf bis Fuß, grußlos.
Zufrieden mit meinem ersten Auftrag, atmete ich in der riesigen Hotellobby tief durch; es war ein Kinderspiel gewesen. Leeman erwartete mich im Wagen, der Chinese saß am Steuer und brachte mich zu weiteren Hotels. Bis Mitternacht hatte ich für meinen neuen Boss über viertausend Dollar eingesammelt.
Auf den ersten Blick unterschied sich Brandon Leeman von anderen Abhängigen, die ich in diesen Monaten kennenlernte und die von den Drogen völlig zerstört waren: Er sah normal aus, wenn auch zerbrechlich. Im Zusammenleben mit ihm begriff ich allerdings, wie krank er tatsächlich war. Er aß weniger als ein Vögelchen, behielt fast nichts bei sich, und manchmal lag er auf dem Bett wie tot, und man konnte unmöglich sagen, ob er schlief, ohnmächtig war oder im Sterben lag. Er roch eigenartig, nach einer Mischung aus Zigaretten, Alkohol und etwas Giftigem, das mich an Düngemittel erinnerte. Sein Kopf ließ ihn im Stich, und er wusste das; deshalb wollte er
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