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Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Titel: Mayas Tagebuch: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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geschlagen, verkrochen sich wie Maulwürfe in ihren Löchern im Untergrund, waren machtlos, wenn das Gesetz zuschlug. Für sie gab es keine Straflosigkeit, nur Leiden.
    Geld, Alkohol und Pillen hatte ich mehr als genug, ich musste nur danach fragen, aber sonst hatte ich nichts, keine Familie, keine Freunde, keine Liebe, noch nicht einmal Sonne in meinem Leben, das ich nachts führte, wie die Ratten.
    Eines Tages verschwand Freddy aus Leemans Wohnung, und wir hörten erst freitags wieder von ihm, als wir zufällig Officer Arana trafen, dem ich sehr selten begegnet war, der aber stets ein paar freundliche Worte für mich gehabt hatte. Das Gespräch kam auf Freddy, und er ließ wie nebenbei fallen, der Junge sei schwerverletzt gefunden worden. Der King of Rap hatte sich auf feindliches Gebiet gewagt, eine Gang hatte ihn zusammengeschlagen und dann auf einer Müllkippe abgeladen im Glauben, er sei tot.Arana meinte mir erklären zu müssen, dass die Stadt in Territorien aufgeteilt war, die von verschiedenen Gangs kontrolliert wurden, und ein Latino konnte, selbst wenn er wie Freddy halb schwarz war, nicht einfach bei den Schwarzen auflaufen. »Gegen den Jungen liegen mehrere Haftbefehle vor, aber eine Gefängnisstrafe würde er nicht überleben. Was der Kleine braucht, ist Hilfe«, sagte Arana zum Abschied.
    Brandon Leeman war zwar nicht wohl bei dem Gedanken, dass man ihn mit Freddy sehen könnte, den die Polizei ja jetzt im Visier hatte, er ging aber trotzdem zu einem Besuch mit ins Krankenhaus. Wir fuhren hoch in den fünften Stock und liefen durch neonbeleuchtete Korridore auf der Suche nach dem Zimmer, ohne dass jemand Notiz von uns genommen hätte, wir waren einfach zwei mehr im Hin und Her von Pflegern, Ärzten, Patienten und Angehörigen, aber Leeman drückte sich an den Wänden entlang, sah ständig über die Schulter und hatte die Hand an der Pistole in seiner Tasche. Freddy lag mit drei anderen in einem Raum, war mit Gurten am Bett fixiert und an jede Menge Schläuche angeschlossen; sein Gesicht war entstellt, er hatte mehrere Rippen gebrochen, und eine Hand war so übel zugerichtet worden, dass man ihm zwei Finger hatte amputieren müssen. Unter den Tritten war eine Niere gerissen, und der Urin in seinem Beutel war rostrot.
    Der Boss erlaubte mir, so viele Stunden am Tag bei dem Jungen zu verbringen, wie ich wollte, solange ich nachts meine Arbeit tat. Zu Anfang bekam Freddy Morphium, dann wurde ihm Methadon verabreicht, weil er in seinem Zustand einen kalten Entzug niemals durchgestanden hätte, aber das Methadon genügte nicht. Er war verzweifelt, ein gefangenes Tier, rang gegen die Gurte an seinem Bett. Wenn das Pflegepersonal nichts mitbekommen konnte, spritzte ich ihm Heroin in die Schläuche an seinem Tropf, wie Brandon Leeman es mir aufgetragen hatte. »Wenn dudas nicht machst, stirbt er. Was er hier kriegt, ist wie Wasser für Freddy«, sagte er.
    Im Krankenhaus lernte ich eine schwarze Krankenschwester kennen, sie war etwas über fünfzig und beleibt und besaß eine durchdringende, kehlige Stimme, die im Kontrast zu ihrem sanften Wesen und ihrem großartigen Namen stand: Olympia Pettiford. Sie hatte Freddy auf der Station aufgenommen, als er aus der Chirurgie in den fünften Stock verlegt wurde. »Mir bricht es das Herz, wenn ich den Jungen sehe, so dünn und so schwach, der könnte mein Enkelkind sein«, sagte sie zu mir. Ich hatte mich mit niemandem angefreundet, seit ich in Las Vegas war, außer mit Freddy, der jetzt mit einem Fuß im Grab stand, und dieses eine Mal setzte ich mich über Brandon Leemans Anweisungen hinweg; ich musste mit jemandem reden, und Olympia war umwerfend. Sie fragte mich nach meiner Beziehung zu dem Patienten, ich sagte der Einfachheit halber, ich sei seine Schwester, und sie wunderte sich nicht, dass eine Weiße mit platinblondem Haar und teuren Kleidern die Angehörige eines farbigen, drogensüchtigen und wohl auch kriminellen Jungen sein wollte.
    Olympia nutzte jede freie Minute, um sich zum Beten an Freddys Bett zu setzen. »Er muss Jesus in sein Herz lassen, Jesus wird ihn retten«, versicherte sie mir. Sie leitete eine Kirchengemeinde im Westen der Stadt und lud mich zu den abendlichen Gottesdiensten ein, aber ich erklärte ihr, dass ich um die Zeit arbeitete und mein Chef sehr streng war. »Dann komm einmal sonntags, Kindchen. Nach dem Gottesdienst bieten die Witwen für Jesus das beste Frühstück von ganz Nevada an.« Die »Witwen für Jesus« waren eine nicht sehr

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