Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
dauerte keine halbe Stunde, da trank ich das erste Glas. Bloß ein bisschen Wodka gegen die Kopfschmerzen, redete ich mir ein. Die Kopfschmerzen gingen nicht weg, und die Flasche war zur Hand.
Ich konnte mir auch nicht länger weismachen, ich sei in den Ferien und vertriebe mir die Zeit, bis die Uni anfing: Ich befand mich unter Kriminellen. Beim kleinsten Fehler konnte ich tot sein oder wie Freddy im Krankenhaus an einem halben Dutzend Schläuchen und Infusionen hängen. Ich hatte schreckliche Angst, auch wenn ich nicht wagte, mein Empfinden beim Namen zu nennen, es fühlte sich an, als würde in meiner Zwerchfellgegend eine Raubkatze zum Sprung ansetzen. Eine innere Stimme warnte mich eindringlich, ob ich die Gefahr denn nicht sehen wollte, wieso ich nicht das Weite suchte, ehe es zu spät wäre, worauf ich noch wartete, um endlich zu Hause anzurufen. Aber eine andere Stimme antwortete trotzig, es kümmere ja doch keinen, was mit mir war; wenn mein Pop noch gelebt hätte, dann hätte er Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um mich zu finden, aber meinem Vater war ja alles zu viel. »Du hast mich nicht angerufen, weil du noch nicht genug gelitten hattest, Maya«, sagte meine Nini, als wir uns wiedersahen.
Die heißesten Wochen des Sommers in Nevada verstrichen, die Temperaturen kletterten auf über vierzig Grad,aber ich lebte in klimatisierten Räumen, war nachts auf Achse und bekam wenig davon mit. Ich hatte meinen festen Tagesablauf, die Arbeit ging unverändert weiter. Nie war ich allein, der Club war der einzige Ort, wo ich vor Brandon Leemans Partnern meine Ruhe hatte, denn auch wenn sie nicht mit in die Hotels und Casinos gingen, warteten sie doch draußen mit dem Blick auf die Uhr.
Der Boss litt in diesen Tagen an einem hartnäckigen Husten, den er »allergisch« nannte, und mir fiel auf, dass er abgenommen hatte. In der kurzen Zeit, die ich ihn kannte, war er schwächer geworden, die Haut hing an seinen Armen wie knittriger Stoff, seine Tätowierungen hatten ihre Form verloren, man konnte seine Rippen und Wirbel zählen, er war grau im Gesicht, hatte Ringe unter den Augen, sah hundemüde aus. Joe Martin bekam das sofort spitz, fing an sich aufzuplustern und stellte Leemans Anweisungen in Frage, während der stille Chinese hübsch den Mund hielt, aber zur Hand ging. So unverhohlen verkauften die beiden Stoff hinter dem Rücken vom Boss und tricksten bei den Abrechnungen, dass Freddy und ich es mitbekamen. »Halt bloß den Mund, Laura, die lassen dich das büßen, die sind gnadenlos«, warnte mich Freddy.
Die beiden Schläger nahmen Freddy nicht für voll, für sie war er ein harmloser Clown, ein Junkie, der sich das Hirn weggefixt hatte; dabei funktionierte Freddys Hirn besser als das von allen anderen, so viel steht fest. Ich redete auf ihn ein, er solle einen Entzug machen, zur Schule gehen, etwas mit seinem Leben anfangen, bekam aber nur immer die hohle Phrase zu hören, die Schule könne ihm nichts beibringen, er besuche die Universität des Lebens. Außerdem wiederholte er lapidar das, was auch Leeman sagte: »Für mich ist es zu spät.«
Anfang September flog Leeman nach Utah und kam mit einem brandneuen Mustang Cabrio wieder, außen blau mitverchromten Zierleisten und innen schwarz. Den habe er für seinen Bruder gekauft, sagte er mir, weil der das aus irgendwelchen komplizierten Gründen nicht selbst tun konnte. Bis zu Adam waren es zwölf Stunden Fahrt, und er wollte in ein paar Tagen jemanden schicken, der das Auto abholte. Einen Wagen wie diesen konnte man in unserer Gegend keine Minute auf der Straße stehen lassen, er wurde sofort geklaut oder zerlegt, deshalb fuhr Leeman ihn in eine der beiden Garagen des Gebäudes, die man abschließen konnte. Alle übrigen waren dunkle Löcher voller Gerümpel, wo sich die Junkies vorübergehend einquartierten oder ihre Freier bedienten. Ein paar Elende lebten seit Jahren in diesen Höhlen und verteidigten den eigenen Quadratmeter zäh gegen die Ratten und andere Obdachlose.
Am nächsten Tag schickte Brandon Leeman seine Partner nach Fort Ruby, eine der sechshundert Geisterstädte in Nevada, zu einem Treffen mit seinen mexikanischen Zulieferern, und als sie weg waren, lud er mich zu einer Probefahrt mit dem Mustang ein. Der starke Motor, der Geruch nach neuem Leder, der Wind in den Haaren, die Sonne auf der Haut, die endlose, von der Straße wie mit dem Skalpell durchschnittene Landschaft, die Berge vor dem blassen und wolkenlosen Himmel, alles trug zu
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