Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
hilfsbedürftig scheint, ihre Tür öffnen. Ich glaube, er ist wegen mir mitgekommen, aber Manuel meint, ich solle mir nichts einbilden, Daniel wäre schönblöd gewesen, hätte er auf die Übernachtungsmöglichkeit und das kostenlose Essen verzichtet.
Bei freundlicher See und mit dem Wind im Rücken brachen wir mit der Cahuilla auf und kamen genau richtig, um die Schwarzhalsschwäne in der Bucht zu sehen, schlank und elegant wie die Gondeln von Venedig. »Verlass ist auf die Schwäne«, sagte Blanca, die manchmal redet wie die Leute von Chiloé. Im Abendlicht sah die Insel schöner aus denn je; ich war stolz, dass ich in diesem Paradies lebte und es Daniel zeigen konnte. Mit einer weiten Armbewegung wies ich auf die Küstenlinie und den gesamten Horizont. »Willkommen auf der Insel von Maya Vidal, mein Freund«, sagte Manuel mit einem Augenzwinkern, das mir nicht entging. Wenn wir allein sind, kann er sich meinetwegen über mich lustig machen, soviel er will, aber wenn er das vor Daniel versucht, wird es ihm leidtun. Das habe ich ihm gesagt, sobald wir unter uns waren.
Wir gingen hoch zu Blanca, die mit Manuel sofort in der Küche verschwand. Daniel bat darum, duschen zu dürfen, was dringend nötig war, und wollte gern etwas Wäsche waschen, unterdessen lief ich heim, um zwei gute Flaschen Wein zu holen, die der Millalobo Manuel geschenkt hatte. Ich schaffte die Strecke in elf Minuten, Weltrekord, mir wuchsen Flügel an den Fersen. Ich wusch mich, schminkte mir die Augen, zog zum ersten Mal mein einziges Kleid an und lief in meinen Sandalen und mit den beiden Weinflaschen in einem Beutel wieder zurück, gefolgt von Fákin, der hechelte und sein lahmes Bein nachzog. Alles in allem hatte ich vierzig Minuten gebraucht, und in dieser Zeit hatten Manuel und Blanca einen Salat auf den Tisch gezaubert und Pasta mit Meeresfrüchten, was man in Kalifornien tutti-mare nennen würde und was hier Nudeln mit Resten heißt, weil es aus dem besteht, was vom Vortag übrig ist. Manuel pfiff bei meinem Anblick durch die Zähne, denn er hatmich bisher nur in Hosen gesehen und denkt wahrscheinlich, ich hätte keinen Stil. Das Kleid stammt aus einem Second-Hand-Laden in Castro, ist aber fast ungetragen und nicht völlig altbacken.
Daniel kam frisch rasiert aus der Dusche, sein Haar schimmerte wie poliertes Holz, und er sah so gut aus, dass ich Mühe hatte, ihn nicht dauernd anzuschauen. Weil es inzwischen abends schon kühl wird, hüllten wir uns in Ponchos, um auf der Terrasse zu essen. Daniel zeigte sich sehr dankbar für die Gastfreundschaft, erzählte, dass er seit Monaten mit wenig Geld unterwegs ist und schon an den unwirtlichsten Orten und oft im Freien schlafen musste. Er freute sich an dem schönen Tisch, dem guten Essen, dem chilenischen Wein und dem Ausblick auf das Wasser, den Himmel und die Schwäne. Sie vollführten einen eleganten, langsamen Tanz auf dem seidigen Violett des Meeres, und wir sahen ihnen schweigend zu. Eine zweite Gruppe kam von Westen, verdunkelte mit ihren großen Schwingen den letzten orangeroten Schein am Himmel und zog davon. Diese Vögel mit der würdevollen Haltung und dem kämpferischen Herzen sind für ein Leben auf dem Wasser gemacht – an Land erinnern sie an fette Enten –, aber nie sehen sie majestätischer aus als im Flug.
Die drei anderen leerten die beiden Weinflaschen vom Millalobo, und ich trank Limonade, war von der Gesellschaft schon wie berauscht und hatte den Wein nicht nötig. Nach dem Dessert (Bratapfel mit Karamellcreme) fragte Daniel ungeniert, ob wir einen Joint mit ihm rauchen wollten. Ich zuckte zusammen, weil ich dachte, der Vorschlag würde bei den beiden anderen gar nicht gut ankommen, aber sie waren nicht nur einverstanden, sondern Blanca ging zu meiner Überraschung sogar eine Pfeife holen. »Kein Wort davon in der Schule, Gringuita«, sagte sie mit Verschwörermiene und klärte mich auf, sie rauche hin und wieder was mit Manuel. Außerdem erfuhr ich, dass auf der Insel etliche Familienerstklassiges Marihuana im Garten haben; das beste baut die Ururoma Doña Lucinda an und beliefert seit einem halben Jahrhundert andere Teile von Chiloé damit. »Doña Lucinda besingt ihre Pflanzen, sie sagt, sie brauchen das wie die Kartoffeln, damit sie gut gedeihen, und offenbar stimmt das, jedenfalls kann mit ihrem Gras niemand mithalten«, erzählte uns Blanca. Ich weiß nicht, wo ich meine Augen habe, ich war ja schon x-mal bei ihr und habe ihr beim Wollefärben geholfen,
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