Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
sollte ich das für mich behalten? »Ja, wo die Liebe hinfällt«, heißt es in einem dämlichen Lied, das Blanca und Manuel im Duett für mich singen, und sie lachen sich kaputt über mich, seit Daniel aufgetaucht ist. Wo soll ich hin mit so viel Glück? Mir läuft das Herz über.
Aber von vorn. Ich war mit Manuel und Blanca auf der Isla Grande, um zu sehen, wie ein Haus »getreidelt« wird, und ich hätte mir nicht träumen lassen, dass dort zufällig und unverhofft etwas Zauberhaftes mit mir geschehen, ich dem Mann meines Lebens begegnen würde, Daniel Goodrich. So etwas wie dieses Treideln gibt es auf der Welt bestimmt nur einmal. Man bewegt dabei nämlich ein komplettes Haus. Erst wird es auf dem Meer von zwei Booten gezogen, dann von sechs Ochsengespannen über Land bis an seinen Bestimmungsort gezerrt. Wenn ein Chilote auf eine andere Insel umzieht oder wenn sein Brunnen versiegt und er ein paar Kilometer weiter einen neuen graben muss, dann nimmt er sein Haus mit wie eine Schnecke. Die Häuser in Chiloé sind aus Holz und nicht fest auf einem Fundament verankert, deshalb kann man sie schwimmen lassen und an Land über Stämme vorwärtsrollen. Das geschieht in einer Minga, zu der sich Nachbarn, Familie und Freunde zusammenfinden; die einen sorgen für die Boote, die anderen für die Ochsen, und der Hausherr sorgt für Schnaps und Essen, aber in diesem Fall war die Minga eine Show für Touristen, denn es ist immer dasselbe kleine Haus, das da monatelang zu Wasser und zu Land hin und her wandert, bis es auseinanderfällt. Es war das letzte Treideln für dieseSaison, im nächsten Sommer gibt es ein neues Wanderhaus. Die Chiloten wollen der Welt zeigen, was sie für irre Sachen anstellen, und damit die Ahnungslosen erfreuen, die von den Reisebüros in Bussen hingebracht werden. Unter den Touristen war auch Daniel.
Schon seit Tagen war es für die Jahreszeit ungewöhnlich trocken und warm gewesen. Alles sah verändert aus, ich hatte den Himmel nie so blau, das Meer nie so silbern gesehen, auf den Wiesen tummelten sich die Hasen, und in den Bäumen zwitscherten die Vögel lauter denn je. Ich mag den Regen, man sitzt zusammen und fühlt sich einander nah, aber bei Sonnenschein kommt die Schönheit der Inseln und Wasserarme besser zur Geltung. Bei schönem Wetter kann ich schwimmen, ohne um mein Leben zu fürchten, und mich ein bisschen sonnen, allerdings mit Vorsicht, denn die Ozonschicht ist hier so dünn, dass viele Schafe blind und viele Frösche verkrüppelt zur Welt kommen. Jedenfalls wird das behauptet, gesehen habe ich es noch nicht.
Am Ufer war alles fürs Treideln bereit: Ochsen, Taue, Pferde, zwanzig kräftige Männer und etliche Frauen mit Körben voller Empanadas, dazu jede Menge Kinder, Touristen, Leute aus dem Ort, die sich das Gelage nicht entgehen lassen, zwei Polizisten, um die Taschendiebe abzuschrecken, und ein Kirchenhelfer zum Segnen. Im siebzehnten Jahrhundert, als das Reisen beschwerlich war und es nicht genug Priester gab, um die weit verstreuten und schwer zugänglichen Ortschaften in Chiloé zu versorgen, führten die Jesuiten das Amt des Kirchenhelfers ein, das von einer Person mit untadeligem Ruf ausgeübt wird. Der Kirchenhelfer ruft die Gemeinde zusammen, leitet Beisetzungen, teilt die Kommunion aus, segnet und darf in echten Notfällen auch Taufen und Heiraten vornehmen.
Mit der Flut kam das Haus, flankiert von zwei Booten und bis zu den Fenstern im Wasser versunken, schaukelndheran wie eine alte Karavelle. An einem Mast auf dem Dach flatterte die chilenische Fahne, und zwei Kinder saßen, ohne Schwimmwesten, rittlings auf dem Giebelbalken. Vom Ufer wurde die Ankunft gebührend beklatscht, dann vertäuten die Treidler das Haus am Steg, um auf die Ebbe zu warten. Alles war gut geplant und die Wartezeit nicht lang. Es gab Unmengen Empanadas, Alkohol in Strömen, Gitarrenklänge, Bolzereien und einen Sängerwettstreit mit gereimten Stegreifversen, die mir alle doppeldeutig und ziemlich schlüpfrig vorkamen. Den Humor in einer fremden Sprache zu verstehen ist das Schwerste, da muss ich noch einiges lernen. Als es dann so weit war, wurden Stämme unter das Haus geschoben, die zwölf Ochsen in einer Reihe aufgestellt, ihre Geschirre mit Tauen und Ketten an den Hauspfeilern befestigt, und, angefeuert von den Rufen und dem Applaus der Schaulustigen und den Pfiffen der Polizisten, hieß es dann: Ziehen.
Die Ochsen senkten ihre Nacken, an ihren großartigen Leibern trat jeder Muskel hervor,
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