mayday mayday ... eastern wings 610
erstes abhanden kommt? – Der Verstand.«
»Geschenkt.«
»Richtig, geschenkt. Aber trotzdem, du bist hierher gekommen, nicht um einen alten Freund zu besuchen, sondern um einem alten Freund Schwierigkeiten zu bereiten.«
»Sagen wir lieber, weil ich von einem alten Freund Hilfe erwartete.«
»Das läuft aufs selbe raus. Aber du sagst dir halt, Freund bleibt Freund, was?« Bruno seufzte. »Na gut, ich hab' vielleicht jemand, der dir helfen könnte.«
Das Seewasser hatte den verdammten Filter völlig mit dem Stutzen verbacken, und es hatte zwanzig Minuten gedauert, bis Kevin Wilson das Ding endlich locker hatte. Er wollte den ›Engländer‹ nochmals ansetzen, eine kleine Drehung noch, ganz vorsichtig. Aber gerade als das Instrument faßte, hörte er den Motor.
Er nahm den Kopf hoch.
Der Sandstreifen, der zur Straße führte, war etwa vierzig Meter breit und um diese Zeit, kurz nach neun Uhr vormittags, wirkte er noch unappetitlich feucht und dunkel. Ein paar von Dans Jungen waren dabei, Cheeseburger-Packungen, weggeworfenes Papier, alte Zeitungen, Präservative und den sonstigen Müll der Nacht in Plastiksäcke zu verstauen. Zwei Liegestühle waren besetzt, dazu noch von einem alten Ehepaar, obwohl das Segeltuch von der Nachtfeuchtigkeit durchtränkt sein mußte. Oben, vor Dans Erfrischungsstand, diesem rot-grünen Plastikpavillon, der die ganze Gegend verschandelte, parkte ein Wagen. Burgundermetallic. Cabrio. Durchgegammelt … Kevin erkannte ihn sofort: Dies war Konietzkas Le Mans. Am Steuer saß nicht Bruno, sondern ein dunkelhäutiger, schmaler Mann: Johnny, der Bruder von Konietzkas Freundin.
Kamen früh, die Jungens.
Kevin Wilson tauchte die Hände in seinen Wassereimer, wischte sie mit Werg sauber, zog das Boot so nahe an die Mole, daß ihm sein steifes, rechtes Knie beim Übersetzen keine Schwierigkeiten machte, stand nun auf dem Pier und wartete.
Er sah, wie Johnny zu ihm herüber deutete. Dann sah er, daß neben ihm ein zweiter Mann saß. Mußte der Typ sein, von dem Bruno gesprochen hatte. Johnny winkte, ohne daß er Anstalten machte, auszusteigen. Der andere stieg aus und kam auf ihn zu. Kevin versuchte ihn einzuschätzen. Sah vernünftig aus. Selbst wenn das nicht so wäre, er war Bruno einen Gefallen schuldig.
Er machte ein paar Schritte. »Ich bin Kevin. Sind Sie der Mann, den mir Bruno auf den Hals schicken will?«
Der andere grinste. »Ich heiße Paul. Trinken wir da oben einen Whisky zusammen?«
»Die Bude hat noch nicht auf. Erst in 'ner Stunde. Die machen spät auf, um sich den Schrott von gestern nacht vom Hals zu halten. Werfen zuviel Pillen ein am Strand, saufen zuviel, tun weiß der Teufel was. Kapiert?«
Brückner nickte.
»Wir können's auch hier besprechen?«
»Können wir. Aber ich hätt's Ihnen gern ein bißchen verdeutlicht. Mit einem Stück Papier und Bleistift.«
»Dann gehen wir doch in meine ›Kiste‹.«
Kevin schwang sich wieder an Bord der Alicia. Er tat es mit der üblichen Routine, überraschend gewandt, und hatte dabei den prüfenden Blick des anderen aufgefangen.
»Keine Sorge, bei der Arbeit hat mich mein Knie noch nie gestört.«
»Vietnam?«
»Ja. Ein Granatsplitter.«
»Bruno hat es mir erzählt.«
Bruno hatte Brückner noch mehr erzählt: Daß Kevin Wilson früher Tauchlehrer war und jetzt die Motoren für die Boote der Tauchschule nur deshalb flicken mußte, weil ihm die Lizenz entzogen worden war, nachdem er einen Touristen aus Milwaukee, der ihn einen ›hinkenden Idioten‹ genannt hatte, mit dem Schraubenschlüssel die Kniescheibe zertrümmert hatte.
An Bord der Alicia lagen die Leinen aufgeschlossen. Überall herrschte peinliche Ordnung. Sie betraten den Salon. Kevin deutete auf die Eckbank. »Was zu trinken?«
Brückner schüttelte den Kopf. Er zog eine Stadtkarte von Miami aus der Tasche und breitete sie auf dem Tisch aus.
»Können Sie sich sparen«, sagte Kevin. »Ich kenne Lidells Bude. Ich bin gestern abend, nachdem Bruno nach mir geschickt hatte, sogar noch mal rausgefahren, um mir die Situation anzusehen.«
»Und?«
»Das Problem ist die Alarmanlage«, erklärte Kevin. »Aber schließlich – machbar ist alles …«
Sie trafen sich am nächsten Morgen um drei Uhr.
Als Treffpunkt war das ›La Caretta ‹ vereinbart, ein durchgehend geöffnetes Speiselokal in der Calle Ocho. Nicht nur die Bar, auch die Tische waren trotz der frühen Stunde noch von Nachtschwärmern besetzt. Kevin betrat das ›La Caretta‹ zehn Minuten nach
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