Mayday
möchte ziemlich genau über die Brücke hinweg anfliegen. Wir müssen über der Bucht bleiben.« Er war sich darüber im klaren, daß sie in dieser Höhe weder San Francisco noch das bergige Marin County überqueren konnten. In 900 Fuß Flughöhe befand er sich unterhalb der Gipfel des Küstengebirges – und unterhalb der höchsten Stockwerke der neuesten Wolkenkratzer von San Francisco. Deshalb mußte er dem Verlauf der Bucht folgen, als fahre er auf einem Schiff in den Hafen ein. »Sharon und Linda, achtet auf die Brücke! Vielleicht sehen wir die Brückentürme.«
»Ich passe auf«, versicherte Crandall ihm.
Berry holte weiter nach links, nach Osten aus, suchte die Bucht, der sie folgen mußten, und bemühte sich, den Nebel unter ihnen mit den Augen zu durchdringen. Dabei fiel ihm ein, daß die Gegner einer Rückkehr der beschädigten Straton 797 bestimmt damit argumentiert hatten, er werde die Stadt gefährden. Aber gerade das wollte er um jeden Preis vermeiden. Er würde ohne Rücksicht auf sich oder andere bis zuletzt über Wasser bleiben. »Sharon, wenn wir nicht bald die Bucht sehen, gehe ich aufs Wasser nieder. Wir dürfen nicht riskieren, gegen einen Hügel oder ein Gebäude zu prallen.«
»Kannst du nicht etwas steigen?«
»Das kostet zuviel Treibstoff und etliche Meilen Flugstrecke. Beides können wir uns nicht leisten.« Berry starrte nach vorn in den Nebel. Die bisher geschlossene Nebeldecke war jetzt an einigen Stellen aufgerissen und gab den Blick aufs Meer frei. Er sah, daß der Nebel auf dem Wasser auflag. Eine Notwasserung im Blindflug bedeutete eine sichere Katastrophe. Er bildete sich ein, die Maschine sacke plötzlich ein Stück weit durch. »Hast du das gespürt?«
»Was denn?«
Berry blieb sekundenlang bewegungslos sitzen. »Nichts.« Da, schon wieder! Oder bildete er sich das nur ein? Aus dieser Höhe segelte die Straton mit stehenden Triebwerken bestenfalls 30 Sekunden lang – und diesmal konnte er sie nicht wieder anlassen. Ein so kurzer Gleitflug konnte bedeuten, daß sie gegen die Golden Gate-Brücke knallten oder in die Stadt stürzten, aber die Bucht jenseits der Stadt war damit nicht zu erreichen. »Wir müssen ins Wasser runter. So können wir nicht weiterfliegen.«
»Noch nicht, John. Bitte!«
»Verdammt noch mal, Sharon, vielleicht fliege ich geradewegs in einen Berg oder gegen einen Wolkenkratzer. Wir haben kein Recht, über die Stadt zu fliegen. Ich will notwassern, solange ich noch weiß, daß wir das Meer unter uns haben. Der Flughafen muß uns auf dem Radarschirm haben. Dann wissen sie, wo sie uns suchen müssen.«
Crandall erwiderte seinen Blick. »Nein, flieg weiter«, forderte sie ihn mit fester Stimme auf. »Ich weiß, daß die Bucht genau vor uns liegt.«
Berry starrte sie verwundert an. Ihr Tonfall und ihre Haltung ließen ihn vermuten, sie habe diese Information aus einer ihm nicht zugänglichen Quelle bezogen. »Sharon …« Er stellte sich vor, wie die Straton im Nebel abstürzte, wie der Nebel sich teilte und wie die Straßen von San Francisco sichtbar wurden, auf die das riesige Verkehrsflugzeit unaufhaltsam zustürzte. Berry schüttelte den Kopf, um diese Vorstellung zu verdrängen. »Ich muß jetzt runtergehen«, sagte er eindringlich.
»Nein!« Sharon wandte sich ab und starrte nach vorn, als sei die Diskussion damit beendet.
Er beobachtete sie aus den Augenwinkeln heraus. Obwohl er sie erst seit sieben Stunden kannte, hatte er das Gefühl, sie mindestens so gut wie Jennifer zu kennen. Sharon Crandall hatte ihm ihr rückhaltloses Vertrauen geschenkt, aber jetzt entzog sie es ihm, weil sie ihrem Instinkt mehr traute, und er merkte, daß es ihr damit ernst war. Nun war er an der Reihe: Nun mußte er ihr das gleiche Vertrauen schenken, obwohl er als Techniker nichts von Instinkten hielt, sondern sich eher auf Wahrscheinlichkeiten und Meßwerte verließ. »Okay, noch ein bißchen länger«, stimmte er zu.
Die Straton flog weiter. Das blendendweiße Nebelmeer unter ihnen verlieh der ganzen Szene etwas Irreales. Für Berry hatte Flug 52 längst aufgehört, ein wirklicher Flug zu sein, und der Nebel schien diese Illusion nur vollkommen zu machen.
Crandall sah gelassen nach vorn, wo die Nebelschwaden heller zu werden schienen. Auf ihrem Gesicht stand ein seltsames Lächeln, als sie die rechte Hand hob und in Flugrichtung deutete.
Berry kniff die Augen zusammen. Er setzte sich auf, als er einen roten Schimmer wahrnahm. Das Rot verschwand für kurze Zeit,
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