Mayday
Samoainseln gehörten, und er würde in Tokio nach japanischer Zeit landen. Trotzdem verging die Zeit zu Hause nur quälend langsam, fast überhaupt nicht. Aber das hatte ihn nicht daran gehindert, älter zu werden, sondern den Alterungsprozeß eher noch beschleunigt. Die Zeit ist eben doch relativ, das steht außer Zweifel. Er beugte sich über das Waschbecken, ließ Wasser in die hohlen Hände laufen und tauchte sein Gesicht hinein.
Der Mittvierziger, der in Reihe 15 auf Sitz A saß, warf einen Blick aus dem Fenster, während er sich eine Zigarre anzündete. Dabei fiel ihm ein silbern glänzender Gegenstand in mindestens einem Kilometer Entfernung auf. Er blinzelte. Der Gegenstand war jetzt so groß wie ein Basketball und befand sich nur noch eine Handbreit von der äußeren Scheibe entfernt. Bevor der Mensch sich auch nur ducken oder einen Schrei ausstoßen konnte, drang die Silberkugel durch das Fenster in den Flugzeugrumpf ein und riß seinen Kopf und Oberkörper mit. Die Phoenix zermalmte die benachbarten Sitze B und C, auf denen die Frau und die Schwiegermutter des Mannes saßen. Sie schob einen Teil ihrer blutigen Ernte vor sich her über den Mittelgang, wo sie die Sitze D, E, F und G mit vier Passagieren zerschmetterte, überquerte den Steuerbordgang und stieß die Sitze H, I und K mit drei weiteren Fluggästen durch die Außenhaut der Maschine in die Stratosphäre hinaus.
Was vor der Phoenix, hinter ihr und im Umkreis von etwa einem Meter lag, wurde durch die ultraschnelle Desintegration des Flugzeugrumpfes pulverisiert. Sitze und Passagiere wurden bis zur Unkenntlichkeit verändert.
Durch den Aufprall und die damit verbundene Verzögerung begann die Phoenix, kurz nach der Flugzeugmitte instabil zu werden. Ihr Leitwerk bäumte sich auf, traf die Steuerbordseite der Maschine und schnitt beim Verlassen des Rumpfes ein fast zweieinhalb Meter hohes und knapp zwei Meter breites Loch in die Außenhaut. Die Rakete stürzte torkelnd ins Freie und riß eine Wolke aus Fleisch und Metallteilen mit. Aber ihre Bewegungsenergie war fast erschöpft: Die Phoenix flog nur noch ein kurzes Stück weit, bevor sie sich überschlagend 19 Kilometer tief in den Pazifik fiel.
Zuerst hörte John Berry nur ein undeutliches Geräusch, als sei ein Stapel Blechrollen zusammengestürzt. Er spürte einen leichten Stoß. Bevor er den Kopf heben konnte, hörte er ein tosendes Rauschen, als habe jemand in der fahrenden U-Bahn ein Fenster geöffnet. Er richtete sich ruckartig auf und wartete, bis sein Verstand alle Sinneseindrücke verarbeitet hatte. Die Maschine flog weiterhin ruhig, das Wasser lief, das Licht brannte, und das Rauschen war leiser geworden. Alles wirkte normal, aber irgend etwas – sein Fliegerinstinkt – sagte ihm, daß er in einem todgeweihten Flugzeug flog.
Draußen in der Kabine strömte die unter Druck stehende Luft zischend durch die gähnenden Löcher im Rumpf der Straton 797 ab. Alle kleinen, nicht befestigten Gegenstände an Bord – Gläser, Tabletts, Hüte, Zeitungen, Aktenkoffer – wurden augenblicklich mitgerissen und verklemmten sich hinter festmontierten Gegenständen oder wurden ins Freie gesaugt.
Die Fluggäste saßen lange Sekunden unbeweglich da, ohne zu begreifen, was eben passiert war. Ihnen fehlte jeglicher Vergleichsmaßstab. Die normalen Reaktionen wie Schreie, beschleunigter Herzschlag, Adrenalinstoß, Gegenwehr oder Flucht fehlten völlig. Sie reagierten auf das Tosen der ausströmenden Luft lediglich mit Schweigen. Die entweichende Luft vergrößerte ihre Bewegungsenergie wie eine anschwellende Flutwelle.
Ein Baby wurde aus den Armen seiner fassungslosen Mutter gerissen und über die Köpfe von Passagieren hinweg durch das Steuerbordloch ins Nichts hinausgeschleudert.
Dann kreischte irgend jemand gellend.
Drei alleinreisende Kinder, ein Junge und zwei Mädchen, die in Reihe 13 die Sitze H, I und K hatten, waren nicht angeschnallt. Sie wurden von dem tosenden Sturm erfaßt und an Steuerbord aus der Maschine gesaugt.
Jetzt schrien alle, weil die Anblicke und Geräusche um sie herum allmählich bis in ihr Bewußtsein vordrangen.
Eine Sechzehnjährige, deren Sitz D in Reihe 18 durch den Einschlag der Rakete losgerissen worden war, klammerte sich verzweifelt an die Sitzschienen, während der noch immer angeschnallte Sitz an ihr zerrte. Dann riß der Anschnallgurt, und der Sitz schoß den Gang hinunter. Sie konnte sich nicht länger festhalten und wurde von unsichtbaren Riesenkräften
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