McCreadys Doppelspiel
Sicherheitskräften wohlbekannt war, den sie aber noch nie festgenommen hatten.
Der Chef ordnete an, die Agenten in der Republik Irland sollten auf die Rückkehr von Pater O’Brien achten, ihn beschatten und vor allem London benachrichtigen, falls er per Flugzeug oder Schiff ins Ausland reiste. Auf dem europäischen Festland würde man ihn viel leichter hochnehmen können.
Als er ins Century House zurückgekehrt war, ließ der Chef Sam McCready kommen.
»Sie müssen das verhindern, Sam«, sagte er am Schluß der Unterredung. »Entweder schon in Libyen oder irgendwo unterwegs. Die zwanzig Tonnen Waffen dürfen auf keinen Fall durchkommen.«
Sam McCready saß stundenlang in einem abgedunkelten Vorführraum und sah sich den Videofilm von dem Begräbnis an. Während das Tonband den gesamten Trauergottesdienst in der Kirche aufnahm, hatte die Kamera den Friedhof abgesucht und nacheinander die IRA-Wachen herangeholt, die jeden unerwünschten Zuschauer fernhalten sollten. Wegen ihrer schwarzen Wollkapuzen war keiner von ihnen zu identifizieren.
Als der Trauerzug aus der Kirchentür kam und den Weg zum Grab einschlug, wobei sechs Vermummte den Sarg trugen, bat McCready die Techniker, einmal Ton und Bild zu synchronisieren. Nichts auch nur entfernt Verdächtiges wurde gesagt, bis der Priester mit gesenktem Kopf neben dem Mann vom Army Council am Grabesrand stand. Der Priester hob den Kopf, um die weinende Mutter des erschossenen jungen Mannes zu trösten.
»Anhalten. Heranzoomen. Optimal einstellen.«
Das Gesicht von Pater O’Brien füllte jetzt den ganzen Bildschirm aus, und McCready sah es sich zwanzig Minuten lang genau an und prägte sich jede Einzelheit so ein, daß er es von nun an überall wiedererkennen würde.
Die Niederschrift des Teils des Tonbandes, in dem der Priester von seinem Besuch in Libyen berichtete, las er mehrmals. Später saß er alleine in seinem Büro und sah sich Fotos an.
Auf einem war Muammar Gaddafi zu sehen, das schwarze Haar buschig unter der Militärmütze, den Mund im Sprechen halb geöffnet. Ein anderes zeigte Hakim al-Mansur, wie er in Paris einem Auto entstieg, in einem exzellenten Maßanzug aus der Savile Row, ein weltgewandter Mann, der Englisch wie seine Muttersprache und Französisch fließend sprach, gebildet, charmant, kosmopolitisch und absolut tödlich. Auf dem dritten Foto war der Stabschef des Army Council der IRA zu sehen, wie er in seiner anderen Rolle als gesetzestreuer und verantwortungsbewußter Lokalpolitiker der Sinn-Fein-Partei eine Rede bei einer Kundgebung in Belfast hielt. Noch ein viertes Bild lag vor McCready, das Porträt des Mannes, der am Grab als derjenige erwähnt worden war, dem der Army Council wahrscheinlich die Leitung der Operation anvertrauen würde. Der Mann also, den Pater O’Brien bei Hakim al-Mansur würde einführen müssen. Die Briten wußten, daß der Kommandeur der Brigade South Armagh der IRA inzwischen zum Leiter der Abteilung Sonderprojekte befördert worden war, ein hochintelligenter, sehr erfahrener und rücksichtsloser Killer. Sein Name war Kevin Mahoney.
McCready sah sich die Fotos stundenlang an und versuchte, sich die Gehirne hinter den Gesichtern vorzustellen. Um dieses Spiel zu gewinnen, würde er sich in sie hineindenken müssen. Bis jetzt waren sie im Vorteil. Sie wußten nicht nur, was sie tun würden, sondern vermutlich auch, wie sie vorgehen würden. Und wann. Er wußte - das erste, aber nicht das zweite und dritte.
Er hatte zwei Vorteile: Er wußte, was sie vorhatten; sie wußten nicht, daß er es wußte. Und er würde sie erkennen, aber sie kannten ihn nicht. Oder kannte al-Mansur sein Gesicht? Der Libyer hatte für den KGB gearbeitet. Die Russen kannten McCready. Hatten sie dem Libyer Fotos vom >Täuscher< gezeigt?
Der Chef war nicht bereit, das Risiko einzugehen.
»Tut mir leid, Sam, aber Sie gehen auf keinen Fall selbst. Und wenn die Wahrscheinlichkeit, daß sie Ihr Gesicht archiviert haben, auch nur ein Prozent beträgt, bleibe ich trotzdem bei meiner Ablehnung. Nichts gegen Sie persönlich. Aber Sie dürfen denen unter gar keinen Umständen lebend in die Hände fallen. Eine neue Buckley-Affäre hätte mir gerade noch gefehlt.«
Richard Buckley, CIA-Stationschef in Beirut, war von der Hisbollah gefangen genommen worden. Er war eines langsamen, schrecklichen Todes gestorben. Die Fanatiker hatten ihm bei lebendigem Leibe die Haut abgezogen und eine Videoaufzeichnung davon der CIA geschickt. Natürlich hatte er
Weitere Kostenlose Bücher