McCreadys Doppelspiel
Markierungen umgestürzte Bäume, Haufen zersägter Baumstämme, Biegungen und Krümmungen des Weges. Nach anderthalb Kilometern stieß er auf eine Landstraße und sah ein Stück weiter vorne den Kirchturm der lutherischen Kirche des Dorfes Ellrich.
Er umging die Ortschaft, wie ihm eingeschärft worden war, und marschierte über abgeerntete Maisfelder, bis er nach einigen Kilometern die Straße nach Nordhausen erreichte. Es war genau fünf Uhr morgens. Er marschierte am Straßenrand entlang, bereit, sich in den Graben zu werfen, sollte sich aus einer der beiden Richtungen ein Fahrzeug nähern. Weiter im Süden, so hoffte er, würden seine abgetragene Matrosenjacke, die Kordsamthose, die Stiefel und die Schirmmütze, wie sie so viele Landarbeiter in der DDR trugen, kein Aufsehen erregen. Hier in der Gegend aber lebten so wenige Menschen, daß sicher jeder jeden kannte. Er hatte kein Verlangen, gefragt zu werden, wohin er unterwegs, geschweige denn, woher er gekommen sei. Hinter ihm gab es nichts, woher er gekommen sein konnte, außer dem Dorf Ellrich und der Grenze.
Am Ortseingang von Nordhausen kam ihm das Glück zu Hilfe. Hinter dem niedrigen Lattenzaun vor einem Haus, in dem kein Licht brannte, lehnte ein Fahrrad an einem Baum. Er wog das Risiko, als Dieb erwischt zu werden, gegen den Vorteil ab, mit dem Rad viel schneller voranzukommen als zu Fuß. Wenn das Verschwinden des Fahrrades in der nächsten halben Stunde nicht bemerkt wurde, lohnte sich das Risiko. Er griff es sich, schob es fünfzig Meter weit, stieg dann auf und fuhr zum Bahnhof. Es war fünf vor sechs. Der erste Zug nach Erfurt sollte in einer Viertelstunde von hier abgehen.
Auf dem Bahnsteig warteten mehrere Dutzend Arbeiter auf den Zug nach Süden. Er kaufte sich eine Fahrkarte, und bald darauf lief der Zug ein, gezogen von einer altmodischen Dampflok, aber pünktlich. Das war erfreulich für jemanden, der den unzuverlässigen Pendlerverkehr von British Rail gewohnt war. Er hob sein Fahrrad in den Gepäckwagen und suchte sich einen Platz auf den hölzernen Sitzen. Der Zug hielt in Sondershausen, Greussen, und Straußfurt, ehe er um 6.41 Uhr in den Erfurter Bahnhof einlief. McCready holte das Fahrrad aus dem Gepäckwagen und radelte ostwärts zum Stadtrand, von wo aus die Staatsstraße 7 nach Weimar führt.
Kurz nach halb sieben, einige Kilometer östlich von Erfurt, näherte sich ihm von hinten ein Traktor. Er zog einen flachen Anhänger, und am Steuer saß ein alter Mann. Er hatte Zuckerrüben nach Erfurt gebracht und war jetzt auf der Rückfahrt. Der Traktor wurde langsamer und hielt dann an.
»Steig mal rauf«, rief der alte Mann, das Fauchen des altersschwachen Motors übertönend. McCready winkte ihm dankend zu, hob das Fahrrad auf den Anhänger und kletterte hinterher. Der Lärm des Motors verhinderte eine Unterhaltung, was McCready nur recht war, der zwar fließend deutsch sprach, aber nicht den thüringischen Akzent beherrschte. Doch der alte Bauer war vollauf zufrieden damit, an seiner leeren Pfeife zu ziehen und den Traktor zu lenken. Fünfzehn Kilometer vor Weimar sah McCready die Soldaten, mehrere Dutzend.
Sie schwärmten auf die Felder rechts und links von der Straße aus. Zwischen den Maisstengeln konnte er ihre behelmten Köpfe sehen. Nach rechts ging eine Zufahrt zu einem Bauernhof ab. Er blickte den Weg entlang, den Soldaten säumten, die jeweils zehn Meter voneinander entfernt standen und in Richtung Weimar blickten. Der Traktor wurde langsamer und hielt an der Straßensperre an. Ein Feldwebel brüllte zum Fahrer hinauf, er solle den Motor abstellen. Der alte Mann brüllte zurück: »Wenn ich das tue, springt er mir wahrscheinlich nicht mehr an. Schiebt ihr Jungs mich dann an?« Der Feldwebel überlegte, zuckte die Achseln und verlangte mit einer Handbewegung den Ausweis des Alten. Er sah ihn an, gab ihn zurück und trat auf den Anhänger zu, wo McCready saß.
»Ihren Ausweis«, sagte er. McCready reichte ihm seinen Personalausweis. Er war von der Weimarer Bezirksverwaltung auf den Namen Martin Kroll, Beruf landwirtschaftlicher Arbeiter, ausge stellt. Der Feldwebel, der aus dem mecklenburgischen Schwerin stammte, zog schnüffelnd die Luft ein.
»Was riecht da so?« fragte er.
»Mist«, sagte McCready.
Der Feldwebel rümpfte die Nase, reichte den Ausweis zurück und winkte den alten Mann weiter. Interessanter war jetzt der Lastwagen, der sich ihnen von Weimar her näherte, und er war angewiesen worden, seine Aufmerksamkeit
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