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McCreadys Doppelspiel

McCreadys Doppelspiel

Titel: McCreadys Doppelspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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wandte sich vom Fenster ab.
    »Sie sind Engländer, nicht? Bitte setzen Sie sich doch wieder.«
    McCready erkannte, daß sie trotz ihres hohen Alters geistig noch hellwach war.
    »Wie kommen Sie denn auf die Idee?« fragte er ungehalten,
    aber sie ließ sich von seinem gespielten Zorn nicht durcheinanderbringen.
    »Aus dreierlei Gründen. Ich erinnere mich an jeden Jungen, den ich im und nach dem Krieg an dieser Schule unterrichtet habe, und ein Martin Kroll war nicht dabei. Und die Schule war nicht in der Heinrich-Heine-Straße. Heine war Jude, und die Nazis hatten seinen Namen von allen Straßen und Plätzen entfernt.«
    McCready hätte sich am liebsten einen Tritt versetzt. Das hätte er wissen müssen.
    »Wenn Sie schreien oder sonstwie Alarm schlagen«, sagte er ruhig, »tue ich Ihnen nichts. Aber sie werden mich holen und erschießen. Es liegt in Ihrer Hand.«
    Sie humpelte zu ihrem Schaukelstuhl und setzte sich.
    »1933 war ich Professorin an der Friedrich-Wilhelm-Universität in Berlin. Das jüngste Mitglied im Kollegium und die einzige Frau. Die Nazis kamen an die Macht. Ich sagte offen, daß ich sie verachtete. Vermutlich hatte ich großes Glück, sie hätten mich dafür in ein Lager schicken können. Aber sie waren nachsichtig und haben mich hierher versetzt, damit ich an der Volksschule die Kinder von Landarbeitern unterrichte.
    Nach dem Krieg bin ich nicht an die Universität zurückgekehrt. Zum Teil, weil ich fand, die Kinder hier hätten auf das, was ich ihnen beibringen konnte, genausoviel Recht wie die jungen Leute in Berlin; zum andern, weil ich nicht bereit war, die Lügen der Kommunisten weiterzugeben. Ist das Antwort genug?«
    »Und wenn sie mich trotzdem erwischen und ich erzähle, was Sie zu mir gesagt haben?«
    Zum erstenmal lächelte sie.
    »Junger Mann, wenn man achtzig ist, können sie einem nichts antun, was unser Herrgott nicht in absehbarer Zeit ohnehin tun wird. So, und was führt Sie zu mir?«
    »Bruno Morenz - erinnern Sie sich an ihn?« »O ja, ich erinnere mich an ihn. Ist er in Schwierigkeiten?«
    »Ja, Fräulein Neumann, in großen Schwierigkeiten. Er ist hier in der Gegend, irgendwo. Er ist mit einem Auftrag in die DDR gekommen - für mich. Dann wurde er krank. Brach psychisch völlig zusammen. Er hält sich irgendwo versteckt. Er braucht meine Hilfe.«
    »Die Polizei, diese vielen Soldaten - sind sie hinter Bruno Morenz her?«
    »Ja. Wenn es mir gelingt, ihnen zuvorzukommen, kann ich ihm vielleicht helfen. Ihn noch rechtzeitig in Sicherheit bringen.«
    »Und warum sind Sie zu mir gekommen?«
    »Er hat eine Schwester in London. Sie sagte, daß er ihr über seine zwei Jahre hier, während des Krieges, ganz wenig erzählt hat. Nur, daß er sehr unglücklich war und zu keinem Menschen Vertrauen hatte, außer zu seiner Lehrerin, Fräulein Neumann.«
    Sie schaukelte einige Zeit vor und zurück.
    »Der arme Bruno«, sagte sie schließlich. »Er hatte immer so große Angst. Vor dem Gebrüll und den Schmerzen.«
    »Warum hatte er solche Angst, Fräulein Neumann?«
    »Er stammte aus einer sozialdemokratischen Familie in Hamburg. Sein Vater war im Bombenkrieg umgekommen, aber er muß vorher im Kreis seiner Familie etwas Abfälliges über Hitler gesagt haben. Bruno war bei einem Bauern auf dem Land untergebracht, einem brutalen Menschen, der zuviel trank und außerdem ein glühender Nazi war. Eines Abends muß Bruno etwas gesagt haben, was er von seinem Vater gehört hatte. Der Bauer hat ihn mit seinem Gürtel verprügelt. Schlimm verprügelt. Das hat er dann noch oft getan. Bruno ist immer wieder ausgerissen.«
    »Und wo hat er sich versteckt, Fräulein Neumann? Wo bitte?«
    »In einem Heuschober. Er hat ihn mir einmal gezeigt. Ich habe den Bauern aufgesucht, um ihm ins Gewissen zu reden. Am Rand einer großen Wiese stand ein Heuschober, weitab vom Haus und von den anderen Gebäuden. Bruno hat sich oben auf dem Dachboden ein Versteck in das Heu gegraben. Da ist er jedesmal hineingekrochen und hat gewartet, bis der Bauer betrunken einschlief.«
    »Und wo genau war dieser Bauernhof?«
    »Der Weiler heißt Marionhain. Ich glaube, es gibt ihn noch. Nur vier Bauernhöfe, heute alle kollektiviert. Er liegt zwischen den Dörfern Ober- und Nieder-Grünstedt. Fahren Sie aus der Stadt auf der Straße in Richtung Süden. Nach etwa vier Kilometern biegen Sie nach rechts ab. Dort steht ein Wegweiser. Das Gehöft hieß früher Müllerhof, doch so heißt es inzwischen sicher nicht mehr. Aber wenn es den

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