McCreadys Doppelspiel
über die er dank seiner angeblichen früheren Funktionen Bescheid wissen müßte, macht er sich sofort verdächtig. Vielleicht lügt er, um sich aufzuspielen, um Eindruck zu schinden; es kann aber auch sein, daß er nie in solche Geheimnisse eingeweiht war, jedoch eben diesen Eindruck erwecken möchte, oder daß die Erinnerung ihn trügt oder.
Es ist nicht einfach, Geheimdienst-Profis während einer langen, kräftezehrenden Befragung anzulügen, ohne ertappt zu werden. Die Befragung kann Monate, sogar Jahre dauern, je nachdem, wie viel von dem, was der Überläufer berichtet, sich nicht mit anderen Erkenntnissen in Einklang bringen läßt.
Wenn etwas, was ein neuer Überläufer behauptet, der angenommenen Wahrheit widerspricht, kann das auch daran liegen, daß die angenommene Wahrheit keine Wahrheit ist. Deshalb überprüfen die Analytiker erneut ihre ursprünglichen Informationsquellen. Es könnte ja sein, daß man sich die ganze Zeit geirrt hatte und der Überläufer recht hat. Das betreffende Thema wird für die Dauer der Überprüfung zurückgestellt und später wieder aufgenommen. Wieder und wieder.
Oft ist dem Überläufer nicht klar, wie wichtig eine Einzelheit ist, die er beisteuert und der er keine besondere Bedeutung beimißt. Für seine Gastgeber kann dagegen diese scheinbare Bagatelle das letzte fehlende Stück eines Puzzlespiels sein, nach dem sie lange Zeit vergeblich gesucht haben.
In die Fragen, deren Antworten bereits bekannt sind, werden die Fragen eingestreut, deren zutreffende Beantwortung Gold wert ist. Kann dieser Überläufer uns irgend etwas sagen, was wir nicht schon wissen, und wenn ja, wie wichtig ist es?
Im Falle des Obersts Pjotr Alexandrowitsch Orlow kam die CIA innerhalb von vier Wochen zu der Überzeugung, daß man aus purem Zufall auf eine dicke Goldader gestoßen war. Das >Material< dieses Mannes war phantastisch.
Auffallend war von Anfang an, wie kühl und gelassen er war. Er erzählte Joe Roth die Geschichte seines Lebens von seiner Geburt in einer bescheidenen Kate in der Nähe von Minsk unmittelbar nach Kriegsende bis zu dem Tag vor sechs Monaten, an dem er in Moskau endgültig zu der Überzeugung gekommen war, daß er die Gesellschaft und das Regime, die er verachten gelernt habe, nicht mehr ertragen könne. Er bestritt nie, daß er nach wie vor eine tiefe Liebe zu seinem Vaterland hegte, und ließ bei dem Gedanken daran, daß er es für immer verlassen hatte, die normalen Gefühle erkennen.
Er berichtete, seine Ehe mit Gaja, einer erfolgreichen TheaterRegisseurin in Moskau, habe seit drei Jahren nur noch auf dem Papier bestanden, und gab mit begreiflicher Verärgerung zu, daß sie mehrere Affären mit gutaussehenden jungen Schauspielern gehabt hatte.
Er bestand drei verschiedene Lügendetektor-Tests, die seine Herkunft, seine Laufbahn, sein Privatleben und seinen politischen Gesinnungswandel betrafen. Und er fing an, hochkarätige Informationen zu liefern.
Seine Laufbahn war sehr abwechslungsreich gewesen. Drei Jahre hatte er als Angehöriger des Dritten (für die Streitkräfte zuständigen) Direktorats als angeblicher GRU-Major Kutschenko im Zentralen Planungsstab des Armee-Hauptquartiers gearbeitet; von daher kannte er eine ganze Reihe ranghoher Militärs, die Einsatzpläne für die sowjetische Armee und Luftwaffe sowie für die Verbände der Marine.
Er lieferte faszinierende Details über die Niederlagen der Roten Armee in Afghanistan, erzählte von der unvorstellbaren Demoralisierung der dort stationierten sowjetischen Truppen und von der zunehmenden Enttäuschung Moskaus über den afghanischen Marionetten-Diktator Babrak Kamal.
Vor seiner Tätigkeit im Dritten Direktorat war Orlow beim Illegalendirektorat gewesen, jener Abteilung innerhalb des Ersten Hauptdirektorats, die für die Führung >illegaler< Agenten in aller Welt zuständig ist. Die >Illegalen< sind die geheimsten aller Agenten, die entweder als Einheimische gegen ihr eigenes Land spionieren oder in dem fremden Land im Untergrund leben. Es sind die Agenten, die über keine Tarnung als Diplomaten verfügen und deren Enttarnung und Festnahme nicht einfach nur die lediglich peinliche Folge hat, daß sie zur unerwünschten Person erklärt und des Landes verwiesen werden, sondern eine weitaus schmerzlichere Prozedur, die in Verhaftung, strengen Verhören und nicht selten Exekution besteht.
Seine Kenntnisse waren zwar schon vier Jahre alt, aber er hatte offenbar ein enzyklopädisches Gedächtnis und konnte
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