McDermid, Val
sehen, ob das, was sie über ihr Team zu
wissen glaubte, sich dadurch erhärten ließ, was und wie sie wählten. Bei Stacey
Chen war es ein Kinderspiel gewesen. In den drei Jahren ihrer Zusammenarbeit
hatte Carol ihr Ass für Informations- und Kommunikationstechnologie noch nie
etwas anderes als Earl Grey trinken sehen. Sie hatte immer einzeln verpackte
Teebeutel in ihrem modischen Lederrucksack dabei. In Bars und Clubs, auf deren
Getränkekarte kein Tee angeboten wurde, verlangte sie kochendes Wasser und
nahm ihren eigenen Teebeutel dazu. Sie war eine Frau, die genau wusste, was sie
wollte, und sobald sie ausgeknobelt hatte, was ihr Ziel war, verfolgte sie es,
ohne irgendwelche Kompromisse einzugehen. Aber ihre Konsequenz machte es auch
zuweilen schwierig, ihre Stimmung einzuschätzen. Wenn jemand nie in seinen
Vorlieben variiert, ist es unmöglich herauszufinden, ob er gestresst oder
erfreut ist, besonders wenn er es so gut verbergen kann wie Stacey.
Es kam Carol peinlicherweise
wie ein rassistisches Klischee vor, aber es ließ sich nicht leugnen, dass sie
niemals jemanden kennengelernt hatte, dem es so gut wie Stacey Chen gelang,
undurchschaubar zu sein.
Nach so langer Zeit wusste Carol
den dürren Fakten von Staceys Lebenslauf fast nichts hinzuzufügen. Deren Eltern
waren Chinesen aus Hongkong, erfolgreiche Geschäftsleute im Groß- und
Einzelhandel mit Lebensmitteln. Es gab Gerüchte, dass Stacey selbst mit dem
Verkauf von Software, die sie privat entwickelte, Millionen verdient hatte. Sie
kleidete sich jedenfalls wie eine Millionärin mit Sachen, die maßgeschneidert
aussahen, und in ihrem Auftreten blitzte hin und wieder eine Arroganz auf, die
eine andere Seite ihres ruhigen Arbeitseifers verriet. Carol musste zugeben,
dass sie sich nicht dafür entschieden hätte, mit jemandem wie Stacey eng zusammenzuarbeiten,
wäre da nicht ihr genialer Umgang mit der Technik gewesen. Aber irgendwie hatte
sich gegenseitiger Respekt entwickelt und ihre kollegiale Beziehung
erfolgreich gemacht. Ohne Staceys Spürsinn konnte sich Carol ihre Gruppe gar
nicht mehr vorstellen.
DC Paula Mclntyre war offenbar
dabei, ihre Möglichkeiten zu überdenken, und fragte sich wahrscheinlich, ob sie
den Nerv
hatte, einen richtigen Drink zu bestellen. Carol vermutete, dass Paula den
Gedanken verwerfen würde, denn die gute Meinung ihrer Chefin war ihr wichtiger
als ihr Verlangen nach Alkohol. Wieder richtig gelegen. Paula entschied sich für eine
Cola. Es gab ein unausgesprochenes Einvernehmen zwischen Paula und ihrer
Chefin; die Arbeit hatte beide auf eine Weise beschädigt, die weit über das
normale Maß von Polizeieinsätzen hinausging. In Carols Fall wurde die
Verletzung noch dadurch verschlimmert, dass gerade die Leute sie verraten
hatten, die ihr verlässlichen Schutz hätten bieten sollen. Danach war sie
verbittert gewesen, zornig und nahe daran, ihren Beruf aufzugeben. Auch Paula
hatte erwogen, ihre Arbeit an den Nagel zu hängen, aber in ihrem Fall hatte
das Problem nicht in Verrat, sondern in unvernünftigem, schuldhaftem
Verhalten bestanden. Eines hatten sie gemeinsam: Den Weg zurück zu einer
Verfassung, in der sie dem Beruf ihrer Wahl wieder mit Gelassenheit nachgehen
konnten, hatten sie mit Tony Hills Hilfe gefunden. Carol stand er als Freund
bei, Paula half er als inoffizieller Therapeut. Carol war in beiden Fällen
dankbar, nicht zuletzt weil bei Vernehmungen niemand besser als Paula wertvolle
Informationen herausbekam. Aber wenn Carol ehrlich war, hatte sie auch ein
wenig die Eifersucht geplagt. Erbärmlich, tadelte sie sich selbst. Und dann gab es Kevin. Es
fiel Carol ein, dass jetzt, da John Brandon im Ruhestand war, DS Kevin Matthews
derjenige war, mit dem sie am längsten zusammenarbeitete. Beide waren sie
daran beteiligt gewesen, als die Bradfielder Polizei zum ersten Mal den Fall
eines Serienmörders untersuchte. Die Folge war, dass Carol eine Turbokarriere
hingelegt hatte; Kevin hingegen war beruflich abgestiegen. Als sie nach
Bradfield zurückgekehrt war, um ihre Sondereinheit einzurichten, hatte sie ihm
eine zweite Chance gegeben. Das hat er mir nie ganz verziehen.
In all diesen Jahren und auch
jetzt noch konnte sie ihn nicht zu einem Drink einladen, ohne nachzufragen, was
er gerade bevorzugte. Einen Monat lang war es Cola light, im nächsten schwarzer
Kaffee, dann heiße Schokolade. In der Kneipe konnte es im Fass gebrautes echtes
Ale, eiskaltes deutsches Exportbier oder Weißweinschorle sein. Sie war
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