Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
McEwan Ian

McEwan Ian

Titel: McEwan Ian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbitte
Vom Netzwerk:
und konnte sich ohne ihre Hilfe auf den Beinen halten. Der Schock machte ihn gesprächig, aber er redete nicht mehr ganz so laut.
» ME 109. Muß das Maschinengewehr gewesen sein. Die Bordkanone hätte mir die ganze vermaledeite Hand abgehackt. Zwanzig Millimeter, sehen Sie ja. War bestimmt von seiner Rotte getrennt. Hat uns auf dem Heimweg gesehen und konnte nicht widerstehen. Kann es ihm nicht mal verübeln. Heißt nur, daß wir bald noch mehr von denen zu Gesicht kriegen.« Das halbe Dutzend Männer, das er vorher um sich geschart hatte, kroch aus den Gräben, sammelte die Gewehre ein und marschierte los, doch ihr Anblick brachte den Major wieder zu sich.
»Also schön, Jungs. In einer Reihe angetreten.« Sie schienen ihm nicht widerstehen zu können und stellten sich auf. Mit leicht bebender Stimme wandte er sich nun an Turner: »Und ihr drei da. Marsch, marsch!«
»Ehrlich gesagt, alter Junge, ich glaube, wir wollen eigentlich lieber nicht.«
»Aha, verstehe.« Mit zusammengekniffenen Augen starrte er auf Turners Schultern, schien dort die Abzeichen eines ranghöheren Offiziers zu entdecken und salutierte gutmütig mit der linken Hand. »Wenn das so ist, Sir, machen wir uns jetzt mal auf den Weg. Wünschen Sie uns Glück.«
»Viel Glück, Major.«
Sie sahen ihm nach, wie er mit seiner zögernden Truppe zum Wald marschierte, in dem die Maschinengewehre auf sie warteten.
Eine halbe Stunde lang kam die Kolonne keinen Schritt voran. Turner meldete sich beim Hauptmann und half den Krankenträgern, die Verwundeten einzusammeln. Anschließend suchte er ihnen einen Platz auf den Lastwagen. Von den Unteroffizieren war keine Spur zu sehen. Turner besorgte Verbandsmaterial aus dem Sanitätswagen, sah dem Hauptmann zu, wie er eine Kopfwunde vernähte, und spürte, wie sich der alte Ehrgeiz in ihm regte, doch die Unmengen Blut verwischten das letzte Lehrbuchwissen, das er noch besaß. Auf ihrem Straßenabschnitt hatte es fünf Verwundete, überraschenderweise aber keinen einzigen Toten gegeben; der Feldwebel mit dem Gewehr war allerdings ins Gesicht getroffen worden, und man nahm nicht an, daß er lange überleben würde. Drei Fahrzeugen hatte das Flugzeug den Motor zerschossen, weshalb sie von der Straße geschoben wurden. Man pumpte das Benzin ab und feuerte sicherheitshalber auch noch ein paar Kugeln in die Reifen.
Als sie in ihrem Abschnitt soweit fertig waren, kam die Kolonne weiter vorn noch immer nicht in Bewegung. Turner holte seinen Mantel von der Straße und zog los. Er war zu durstig, um noch länger warten zu können. Eine ältliche Belgierin mit einem Knieschuß hatte seinen letzten Tropfen Wasser getrunken. Die Zunge lag ihm dick und geschwollen im Mund, und all seine Gedanken konzentrierten sich darauf, etwas zu trinken zu finden. Und den Himmel im Auge zu behalten. In den nächsten Straßenabschnitten änderte sich das Bild nur wenig, Fahrzeuge waren unbrauchbar geworden und Verletzte wurden in Lastwagen gehoben. Nach knapp zehn Minuten sah er etwa zwanzig Meter abseits der Straße im tiefen, grünen Schatten einiger Pappeln den Kopf von Mace neben einem Erdhaufen aus dem Gras ragen. Er ging zu ihm, obwohl er wußte, daß er in seiner Gemütsverfassung vermutlich besser daran täte, einfach weiterzulaufen. Mace und Nettle standen schultertief in einem Loch. Sie hoben ein Grab aus und waren fast damit fertig. Hinter dem Haufen lag ein fünfzehnjähriger Junge mit dem Gesicht nach unten. Ein hellroter Fleck auf seinem Rücken hatte sich vom Kragen bis zum Gürtel über das weiße Hemd ausgebreitet. Mace lehnte sich auf seinen Spaten und ahmte ziemlich gekonnt seine Stimme nach. »Ich glaube, wir wollen eigentlich lieber nicht. Gar nicht übel, Boss. Das merke ich mir fürs nächste Mal.«
»Deroutieren war klasse. Wo hast du das bloß aufgeschnappt?«
»Der hat ein ganzes verdammtes Wörterbuch gefressen«, sagte Unteroffizier Nettle stolz.
»Ich habe früher gern Kreuzworträtsel gelöst.« »Und ›kolossal und katastrophal eingekesselt‹?«
»Stammt von einem Musikabend letzte Weihnacht in der Stufzmesse.«
Und immer noch im Grab stehend, sangen Nettle und Mace:
    Hinz und Kunz wurde kolossal klar, eingekesselt war die Lage katastrophal.
    Hinter ihnen setzte sich die Kolonne wieder in Bewegung. »Packen wir ihn rein«, sagte Unteroffizier Mace.
Die drei Männer trugen den Jungen ins Grab und legten ihn auf den Rücken. In seiner Hemdtasche steckte eine Reihe Füllfederhalter. Die Unteroffiziere hielten sich

Weitere Kostenlose Bücher