McEwan Ian
Zweimal einseifen, immer wieder ausspülen, dann der beidhändige Kampf mit der Mangel und anschließend die fünfzehn Minuten, die er bebend am Küchentisch hockte, Brot, Butter und ein Glas Wasser vor sich, all das kostete zwei Stunden Probenzeit.
Als Hardman vor der frühen Hitze in die Küche flüchtete, um ein Glas Bier zu trinken, vertraute ihm Betty an, daß es schlimm genug sei, bei diesem Wetter für den Abend einen Braten zubereiten zu müssen, und daß sie persönlich finde, der Junge würde zu hart rangenommen, lieber hätte sie ihm einen scharfen Klaps auf den Po verpaßt und die Wäsche selbst gewaschen. Das wäre Briony ganz lieb gewesen, denn der Vormittag ging unerbittlich dahin. Als dann ihre Mutter nach unten kam, um selbst nach dem Rechten zu sehen, machte sich ein Gefühl der Erleichterung breit, in Mrs. Tallis aber regte sich ein uneingestandenes schlechtes Gewissen, weshalb Emily, als Jackson mit kleinlauter Stimme fragte, ob er jetzt bitte ins Schwimmbekken dürfe, diesem Wunsch sofort nachgab und die Einwände ihrer Tochter so großzügig beiseite wischte, als wäre es Briony gewesen, die dem hilflosen kleinen Burschen die unangenehmen Strapazen auferlegt hatte. Nun wurde also erst einmal gebadet, und danach kam das Mittagessen.
Immerhin waren die Proben ohne Jackson fortgesetzt worden, doch fand sie es deprimierend, daß Arabellas Abschied, diese wichtige erste Szene, noch nicht wie am Schnürchen lief; außerdem sorgte sich Pierrot viel zu sehr um das Schicksal seines Bruders dort unten in den Tiefen des Hauses, um als tückischer fremdländischer Graf viel hermachen zu können, denn was Jackson erlitt, mochte Pierrot noch bevorstehen. Immer wieder lief er zur Toilette am Ende des Flurs.
Als Briony von einem ihrer Ausflüge in die Waschküche zurückkam, fragte er: »Hat’s was gesetzt?«
»Nein, noch nicht.«
Wie sein Bruder besaß Pierrot die Fähigkeit, den Versen jeglichen Sinn zu rauben. Der Reihe nach ließ er die Worte aufmarschieren:»Glaubst-du-denn,-du-könntest-meiner-Gewalt-ent - rinnen?« Vollzählig und korrekt.
»Das ist eine Frage«, warf Briony ein. »Verstehst du nicht? Am Ende geht’s rauf.«
»Rauf? Wie meinst du das?«
»Da. Jetzt hast du’s gemacht. Du fängst tief an und hörst mit einem höheren Ton auf. Es ist eine Frage. «
Er schluckte schwer, holte tief Luft, machte noch einen Versuch und ließ die Worte diesmal auf einer ansteigenden Tonleiter antreten.
»Am Ende. Der Ton geht nur am Ende rauf.«
Jetzt ließ er wieder das alte monotone Geleier hören, wechselte am Ende aber die Tonlage und jodelte die letzte Silbe in den Raum.
Aufgetakelt wie eine Erwachsene, für die sie sich im Grunde ihres Herzens auch hielt, war Lola am Morgen im Kinderzimmer erschienen. Zu einem kurzärmeligen Kaschmirpullover trug sie eine um die Hüfte weit geschnittene Flanellhose mit Schlag und Bügelfalte. Zusätzliche Zeugnisse ihrer Reife waren ein mit winzigen Perlen besetztes Samthalsband, eine smaragdene Spange, die im Nacken die roten Locken zusammenhielt, drei silberne Armreife, lose am sommersprossigen Handgelenk getragen, sowie die Tat» sache, daß sie bei jeder Bewegung einen Hauch Rosenwas-serduft verbreitete. Und gerade weil sie sich alle Mühe gab, ihre Überlegenheit nicht zu zeigen, wirkte sie erst recht herablassend. Geduldig ging sie auf Brionys Vorschläge ein, sagte ihren Text, den sie über Nacht auswendig gelernt zu haben schien, mit ausreichender Betonung auf und ermunterte immer wieder ihren kleinen Bruder, ohne je die Autorität der Regisseurin in Frage zu stellen. Es war, als hätte Cecilia, oder nein, als hätte Brionys Mutter sich bereit erklärt, eine Rolle in dem Stück zu übernehmen, um ein wenig Zeit mit den Kindern zu verbringen, fest entschlossen, sich keinesfalls anmerken zu lassen, wie sehr sie sich in Wahrheit langweilte. Von ungehemmter kindlicher Begeisterung war jedenfalls nichts zu merken. Am Vorabend hatte Briony ihren Verwandten den Kartenschalter und die Sammelbüchse gezeigt, und die Zwillinge waren um die publikumswirksamsten Rollen gleich aneinandergeraten, doch Lola hatte bloß die Arme verschränkt und ihrer Kusine mit einem matten Lächeln, das zu undurchsichtig war, als daß darin auch nur ein Anflug von Ironie zu erkennen gewesen wäre, höfliche, erwachsene Komplimente gemacht. »Wunderbar. Wie klug von dir, Briony, daran zu denken. Und das hast du wirklich alles ganz allein zuwege gebracht?« Briony wurde den Verdacht nicht
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