McEwan Ian
beiläufigem Ton: »Bist du jetzt Stationsschwester, Cecilia?« »Ja, bin ich.«
Ihr Ton war endgültig und zog einen Schlußstrich unter dieses Thema. Ihr gemeinsamer Beruf würde sie nicht miteinander verbinden. Nichts würde das tun, und bis Robbie zurückkehrte, gab es auch nichts zu bereden.
Endlich hörte sie das Schloß der Toilettentür knarren. Vor sich hin pfeifend trat Robbie auf den Flur, und Briony wich von der Tür zurück, schob sich tiefer in eine dunklere Zimmerecke, Doch als er hereinkam, stand sie direkt in seinem Blickfeld. Er hatte die Hand halb gehoben, um sie ihr zu geben, während seine Linke gleichzeitig nach hinten griff, um die Tür hinter sich zu schließen. Offenbar mußte er zweimal hinsehen, doch war seine Reaktion gänzlich undramatisch. Kaum trafen sich ihre Blicke, ließ er die Hände sinken, aber er behielt Briony im Auge und stieß schließlich einen kleinen, gepreßt klingenden Seufzer aus. Trotz ihrer Angst mußte sie seinen Blick erwidern. Sie nahm einen schwachen Seifenduft wahr und stellte mit Entsetzen fest, wie alt Robbie geworden war, vor allem um die Augen. Kleinlaut fragte sie sich, ob denn alles ihr Fehler sein mußte. Konnte es nicht auch am Krieg liegen?
»Du bist es also doch«, sagte er schließlich und stieß die Tür mit dem Fuß zu. Cecilia hatte sich an seine Seite gestellt, und er schaute sie an.
Cecilia gab eine präzise Zusammenfassung ihrer Unterhaltung, doch selbst wenn sie es gewollt hätte, wäre es ihr kaum gelungen, nicht sarkastisch zu klingen.
»Briony will allen die Wahrheit sagen. Vorher wollte sie aber mit mir reden.«
Er wandte sich erneut an Briony. »Hast du geahnt, daß ich hier bin?«
Sie wollte unter keinen Umständen weinen. Nichts wäre in diesem Augenblick demütigender gewesen. Erleichterung, Scham, Selbstmitleid, sie wußte nicht, was es war, aber es kam. Wie eine sanfte Woge stieg es in ihr auf, saß wie ein Kloß im Hals, machte jedes Reden unmöglich, und dann, als sie dagegen ankämpfte, die Lippen spannte, verschwand es, und sie hatte es geschafft. Keine Tränen, aber ihre Stimme war nur ein klägliches Wispern. »Ich wußte nicht, daß du noch lebst.« Cecilia sagte: »Wenn wir uns schon unterhalten, sollten wir uns doch wenigstens hinsetzen.«
»Ich weiß nicht, ob ich das kann.« Er schritt ungeduldig die wenigen Meter bis zur gegenüberliegenden Wand ab, lehnte sich an, die Arme verschränkt, und blickte von Briony zu Cecilia. Doch fast im selben Augenblick trieb es ihn erneut durchs Zimmer, diesmal zur Schlafzimmertür, er drehte sich um, kehrte zurück, änderte seine Absicht und blieb stehen, die Hände in den Taschen. Er war ein großgewachsener Mann, und das Zimmer schien plötzlich geschrumpft zu sein. Auf engem Raum wirkten seine Bewegungen verzweifelt, fast, als würde er erstikken. Er zog die Hände aus den Taschen und glättete das Haar am Hinterkopf. Dann stützte er die Hände in die Hüften. Gleich darauf ließ er sie wieder sinken. Doch Briony brauchte all die Zeit, all diese Bewegungen, um zu begreifen, daß er wütend war, sehr wütend, und kaum war sie soweit, sagte er: »Was willst du hier? Erzähl mir nichts von Surrey. Kein Mensch hält dich davon ab, nach Surrey zu fahren. Also, was suchst du hier?«
Sie sagte: »Ich mußte mit Cecilia reden.«
»Ach ja? Und worüber?«
»Über das Schreckliche, das ich getan habe.«
Cecilia ging zu ihm. »Robbie«, flüsterte sie, »Liebling.« Sie legte einen Arm um ihn, doch er entzog sich ihr.
»Ich weiß nicht, warum du sie überhaupt reingelassen hast.« Und zu Briony gewandt: »Ich will ehrlich sein. Ich
schwanke noch, ob ich dir auf der Stelle deinen dummen Hals brechen oder dich vor die Tür setzen und die Treppe runterwerfen soll.«
Sie hätte schreckliche Angst vor ihm gehabt, hätte sie in letzter Zeit nicht einige Erfahrungen mit Männern gesammelt. Manchmal hörte sie auf der Station Soldaten gegen die eigene Hilflosigkeit wüten. Wenn sie sich allerdings erst einmal in Rage gebracht hatten, war es sinnlos, mit ihnen reden zu wollen. Erst mußte alles raus, und da war es am besten, sich zurückzuhalten und zuzuhören. Briony wußte, selbst wenn sie Robbie nun anbot, wieder zu gehen, würde er sich provoziert fühlen. Also blickte sie ihn an und wartete auf den Rest, auf das, was ihr gebührte. Aber sie hatte keine Angst vor ihm oder vor körperlicher Gewalt.
Er wurde nicht lauter, doch seine Stimme bebte vor Verachtung. »Hast du überhaupt eine Ahnung, wie es
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