McEwan Ian
überzeugen, daß deine Zeugenaussage falsch war. Wann ist dein nächster freier Tag?« »Sonntag in einer Woche.«
»An diesem Sonntag wirst du fahren. Du nimmst unsere Adressen mit und sagst Jack und Emily, daß Cecilia auf Nachricht von ihnen wartet. Das Nächste erledigst du schon morgen. Cecilia sagt, du hättest irgendwann eine Freistunde. In der gehst du zu einem Anwalt – einem Notar, genauer gesagt – und legst vor Zeugen eine eidesstattliche Erklärung ab, die von ihm gegengezeichnet wird. Darin führst du aus, was du getan hast und daß du deine frühere Zeugenaussage zurückziehst. Anschließend schickst du an jeden von uns eine Abschrift. Verstanden?«
»Ja.«
»Dann schreibst du mir einen ausführlichen Brief. Darin erwähnst du alles, was dir irgendwie von Bedeutung zu sein scheint. Jede noch so geringe Kleinigkeit, die dazu führte, daß du behauptet hast, mich am See gesehen zu haben. Und warum du, obwohl du dir unsicher warst, in den Monaten bis zur Verhandlung bei deiner Aussage geblieben bist. Falls die Polizei oder deine Eltern irgendwelchen Druck auf dich ausgeübt haben, will ich das wissen. Hast du dir das gemerkt? Es sollte ein langer Brief werden.« »Ja.«
Er fing Cecilias Blick auf und nickte. »Wenn du dich an irgendwas über Danny Hardman erinnern kannst, wo er war, was er getan hat, wann er es getan hat, wer ihn sonst noch gesehen hat oder was sein Alibi auch nur irgendwie ins Wanken bringen könnte – dann wollen wir das von dir wissen.«
Cecilia schrieb ihr die Adressen auf. Briony schüttelte den Kopf und wollte etwas sagen, aber Robbie beachtete sie gar nicht und redete einfach weiter. Er stand auf und i schaute auf die Uhr.
»Die Zeit ist knapp. Wir bringen dich zur Untergrundbahn. Die letzte Stunde vor meiner Abreise will ich allein mit Cecilia verbringen. Und du wirst den Rest des Tages brauchen, um deine Aussage zu formulieren und deine Eltern wissen zu lassen, daß du kommst. Außerdem solltest du schon damit anfangen, über den Brief nachzudenken, den du mir schicken wirst.« Nachdem er so mit spröder Stimme ihre Aufgaben aufgelistet hatte, wandte er sich vom Tisch ab und ging zum Schlafzimmer.
Briony erhob sich nun ebenfalls und sagte: »Wahrscheinlich hat der alte Hardman die Wahrheit gesagt. Danny dürfte die ganze Nacht bei ihm gewesen sein.«
Cecilia wollte ihr gerade den gefalteten Zettel geben, auf den sie die Adressen geschrieben hatte. Robbie blieb in der Schlafzimmertür stehen.
»Was redest du da?« fragte Cecilia. »Was soll das heißen?« »Es war Paul Marshall.«
In der anschließenden Stille versuchte Briony sich vorzustellen, was jetzt in jedem von ihnen vorging. Jahrelange Überzeugungen mußten angeglichen werden. Und doch, wie verblüffend die Neuigkeit auch sein mochte, war sie letztlich bloß ein Detail. Nichts Wesentliches wurde dadurch geändert. Ihre eigene Rolle blieb dieselbe.
Robbie kehrte an den Tisch zurück. »Marshall?«
»Ja.«
»Du hast ihn gesehen?«
»Ich habe einen Mann seiner Größe gesehen.«
»Meiner Größe.«
»Ja.«
Cecilia stand jetzt und schaute sich suchend um – die Jagd nach den Zigaretten begann. Robbie fand sie schließlich und warf ihr die Schachtel quer durchs Zimmer zu. Cecilia steckte sich eine an und sagte, während ihr der Rauch aus dem Mund quoll: »Es fällt mir schwer, das zu glauben. Ich weiß, er ist ein Trottel, aber…«
»Er ist ein gieriger Trottel«, sagte Robbie. »Aber ich kann ihn mir nicht zusammen mit Lola Quincey vorstellen, selbst wenn es nur fünf Minuten gedauert hat…«
Briony wußte, daß sie angesichts all dessen, was passiert war, und der schrecklichen Konsequenzen, die dieses Geschehen gehabt hatte, ein beinahe frivoles Vergnügen dabei empfand, ihnen die entscheidende Neuigkeit mitzuteilen. »Ich komme gerade von ihrer Hochzeit.«
Wieder die erstaunten Angleichenden langgehegter Auffassungen, die ungläubigen Wiederholungen. Hochzeit? Heute morgen? Clapham? Dann nachdenkliches, nur von einzelnen Ausbrüchen unterbrochenes Schweigen.
»Den knöpf ich mir vor.«
»Das wirst du nicht tun.«
»Am liebsten würde ich ihn umbringen.«
Und dann: »Es wird Zeit. Wir müssen los.«
Es gab noch so vieles zu sagen, aber Brionys Anwesenheit oder das Thema selbst hatte sie erschöpft. Vielleicht wollten sie auch einfach nur allein sein. Jedenfalls war deutlich, daß sie ihre Begegnung für beendet hielten. Jegliche i Neugier war gestillt. Der Rest konnte warten, bis Briony l den Brief geschrieben hatte.
Weitere Kostenlose Bücher