Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
McEwan Ian

McEwan Ian

Titel: McEwan Ian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbitte
Vom Netzwerk:
hing.
Cecilia nahm sich eine Zigarette aus einer Schachtel, die neben dem Gasherd lag, und als ihr einfiel, daß ihre Schwester kein Kind mehr war, bot sie Briony auch eine an. Am Tisch standen zwei Küchenstühle, aber Cecilia lehnte mit dem Rücken am Waschbecken und hatte Briony nicht gebeten, sich zu setzen. Die beiden Frauen rauchten und warteten darauf, so jedenfalls kam es Briony vor, daß die Erinnerung an die Hauswirtin verflog.
Mit leiser, beherrschter Stimme sagte Cecilia: »Nachdem ich deinen Brief erhalten hatte, bin ich zu einem Anwalt gegangen. Wenn es keine neuen, eindeutigen Beweise gibt, ist die Sache nicht gerade einfach. Deine Sinnesänderung allein reicht nicht aus, da Lola weiterhin behaupten wird, daß sie nichts weiß. Unsere einzige Hoffnung war der alte Hardman, aber der ist tot.«
»Hardman?« Verwirrt versuchte Briony, das Gehörte zu verarbeiten – die Tatsache, daß er gestorben war; die Frage, was er mit alldem zu tun hatte –, und kramte angestrengt in ihrem Gedächtnis. Hatte Hardman in jener Nacht nach den Zwillingen gesucht? Hatte er wen gesehen? War vor Gericht etwas gesagt worden, wovon sie nichts wußte? »Hast du nicht gewußt, daß er tot ist?« »Nein, aber…« »Nicht zu fassen.« Cecilias Versuch, einen neutralen, sachlichen Ton zu wahren, drohte zu scheitern. Verstört trat sie aus der Kochnische vor, drückte sich am Tisch vorbei, ging ans andere Zimmerende und blieb vor der Schlafzimmertür stehen. Ihre Stimme war heiser vor kaum verhohlenem Ärger.
»Ist ja seltsam, daß Emily dies bei alldem Geschwätz über Kornanbau und Flüchtlinge nicht erwähnt hat. Er hatte Krebs. Und vielleicht hat er in seinen letzten Tagen aus Angst vor dem Zorn Gottes noch etwas gesagt, das jetzt einfach niemand mehr hören wollte.«
»Aber Cee…«
»Nenn mich nicht so!« fauchte Cecilia sie an. Und noch einmal, diesmal mit leiserer Stimme: »Bitte nenn mich nicht so.« Ihre Hand lag auf der Klinke der Schlafzimmertür, und es sah ganz so aus, als ob sie ihr Gespräch beenden und gleich hinter dieser Tür verschwinden wollte.
Äußerlich völlig ruhig faßte sie für Briony zusammen: »Ich habe zwei Guineas bezahlt, um zu erfahren, daß es zu keiner Berufung kommen wird, bloß weil du dich nach fünf Jahren entschieden hast, endlich die Wahrheit zu sagen.«
»Ich verstehe nicht, was…« Briony wollte auf Hardman zurückkommen, aber Cecilia mußte ihr erst erzählen, was ihr in letzter Zeit sicher oft durch den Kopf gegangen war.
»Das ist doch nicht schwer zu verstehen. Warum sollte man dir heute glauben, wenn du damals schon gelogen hast? Es gibt keine neuen Fakten, und du bist eine unzuverlässige Zeugin.« Briony trat mit der halbgerauchten Zigarette ans Waschbecken. Ihr war schlecht. Sie nahm eine Untertasse aus dem Geschirrständer und benutzte sie als Aschenbecher. Es war fürchterlich, ihre Schwester so über ihr Verbrechen reden zu hören. Doch bloß die Perspektive war ungewohnt. Schwach, dumm, durcheinander, feige, ausweichend – sie hatte sich für alles gehaßt, was sie gewesen war, nur für eine Lügnerin hatte sie sich nie gehalten. Wie seltsam, und doch – wie selbstverständlich für Cecilia. So offensichtlich und unwiderlegbar. Dennoch war sie einen Augenblick lang versucht, sich zu verteidigen. Sie hatte niemanden täuschen wollen, hatte nicht aus Böswilligkeit gehandelt. Aber wer wollte ihr das glauben?
Sie stand, wo Cecilia vorher gestanden hatte, lehnte sich mit dem Rücken ans Waschbecken, unfähig, den Blick ihrer Schwester zu erwidern, und sagte: »Es war schrecklich, was ich getan habe. Ich erwarte nicht, daß du mir verzeihst.« »Keine Sorge«, sagte Cecilia beschwichtigend, und in den ein oder zwei Sekunden, in denen sie einen kräftigen Zug tat, durchfuhr Briony eine verrückte Hoffnung. »Keine Sorge«, begann ihre Schwester noch einmal, »ich werde dir nie verzeihen.«
»Selbst wenn ich nicht vor Gericht gehen kann, hindert mich doch nichts daran, es allen Leuten zu erzählen.«
Als ihre Schwester ein kurzes, wildes Lachen ausstieß, begriff Briony, wie sehr sie sich vor Cecilia fürchtete, deren Verachtung noch viel schwerer zu ertragen war als ihre Wut. Dieses kleine Zimmer mit Tapetenstreifen wie Gefängnisgitter barg eine Geschichte an Gefühlen, die sich niemand vorzustellen vermochte. Briony drängte weiter. Immerhin führte sie nun ein Gespräch, das sie oft geübt hatte.
»Ich fahre nach Surrey und rede mit Emily und dem alten Herrn. Ich sag ihnen

Weitere Kostenlose Bücher