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McEwan Ian

McEwan Ian

Titel: McEwan Ian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbitte
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die Lippen. Nach und nach zog er sich zurück, ihr animalischer Folterknecht, und schon vermochte sie zwei Kissen vors Kopfbrett zu stopfen, um sich aufzusetzen. Es war ein langsames und umständliches Manöver, da sie sich vor allzu hastigen Bewegungen fürchtete und das Quietschen der Bettfedern möglichst lang hinauszögern wollte, durch das prompt die Männerstimme fast übertönt worden wäre. Halb aufgerichtet, eine Hand in einen Kissenzipfel gekrallt, erstarrte sie und lenkte ihre geballte Aufmerksamkeit in die hintersten Winkel des Hauses. Da war nichts, doch dann, wie ein Licht, das in völliger Dunkelheit an- und ausgeht, ein kurzes, juchzendes, gleich wieder gedämpftes Lachen. Lola also, im Kinderzimmer mit Marshall. Emily fuhr fort, es sich bequem zu machen, lehnte sich zurück und nippte an dem lauwarmen Wasser. Dieser begüterte junge Unternehmer war vielleicht doch kein so schlechter Kerl, wenn er bereitwillig seine Zeit damit zubrachte, Kinder zu unterhalten. Bald würde sie riskieren können, die Leselampe anzumachen, und in zwanzig Minuten könnte sie vielleicht sogar schon wieder nach unten gehen und die diversen Stränge ihrer Sorgen und Nöte selbst in die Hand nehmen. Am dringlichsten war ein Abstecher in die Küche, da es vielleicht noch nicht zu spät war, den Braten in kalten Aufschnitt und Salat abzuwandeln, danach wollte sie ihren Sohn begrüßen und seinen Freund in Augenschein nehmen und ihn willkommen heißen. Wenn dies erledigt war, würde sie nachsehen, ob die Zwillinge gut versorgt waren, und sie dann zum Trost vielleicht mit einer Süßigkeit belohnen. Anschließend dürfte es Zeit für das Telefonat mit Jack sein, der bestimmt vergessen hatte, ihr zu sagen, daß er heute nicht nach Hause kam. Sie würde trotz der stets kurz angebundenen Frau in der Zentrale und dem aufgeblasenen jungen Mann im Vorzimmer zu ihrem Mann vordringen und ihm versichern, daß er kein schlechtes Gewissen zu haben brauchte. Dann würde sie Cecilia suchen und sich davon überzeugen, daß sie die Blumen wie gewünscht ins Zimmer gestellt hatte, und sie bitten, ihr am Abend doch bei den Gastgeberpflichten ein wenig beizustehen, sich etwas Hübsches anzuziehen und nicht in jedem Zimmer zu rauchen. Danach aber, und das war wichtiger als alles andere, mußte sie Briony suchen, denn daß es mit dem Stück nichts wurde, war gewiß ein schwerer Schlag, und das Kind würde allen Trost brauchen, den eine Mutter zu geben vermochte. Was allerdings bedeutete, daß sie sich direktem Sonnenlicht aussetzen mußte, und selbst die schwächer werdenden Strahlen der frühen Abendsonne vermochten einen Anfall auszulösen. Also mußte sie die Sonnenbrille finden, und das hatte Vorrang noch vor der Küche, da die Brille hier irgendwo in diesem Zimmer lag, in einer Schublade, zwischen Buchseiten oder in einer Tasche, und es wäre doch ärgerlich, extra ihretwegen wieder nach oben gehen zu müssen. Außerdem sollte sie flache Schuhe anziehen, nur für den Fall, daß Briony bis hinunter an den Fluß gegangen war… Und so blieb Emily, nachdem sich das Biest davongeschlichen hatte, noch einige Minuten in den Kissen liegen, machte geduldig ihre Pläne, verbesserte sie und überlegte sich, was in welcher Reihenfolge zu geschehen hatte. Sie würde beschwichtigend auf das Haus wirken, das ihr im kränklichen Zwielicht des Schlafzimmers wie ein geplagter, spärlich bevölkerter Landstrich vorkam, aus dessen waldigen Weiten widerstreitende Kräfte die unterschiedlichsten Ansprüche an ihre ruhelose Aufmerksamkeit stellten. Sie hegte keine Illusionen: Alte Pläne, falls man sich denn an sie erinnern konnte, Pläne, die vom Geschehen längst überholt worden waren, zeugten meist von einer fieberhaft aufgeregten, viel zu optimistischen Einschätzung der Ereignisse. Sie konnte ihre Tentakeln zwar in alle Zimmer des Hauses ausstrecken, aber nicht in die Zukunft. Sie wußte auch, daß es letztlich um ihren Seelenfrieden ging, daher hieß es, Eigeninteresse und Zuvorkommenheit lieber nicht voneinander zu trennen. Behutsam richtete sie sich auf, schwang die Beine aus dem Bett und nestelte die Füße in ihre Pantoffeln. Statt jetzt schon geöffnete Vorhänge zu riskieren, knipste sie nur die Leselampe an und begann zaghaft mit der Suche nach ihrer dunklen Brille. Sie hatte bereits entschieden, wo sie zuerst nachschauen wollte.
Sieben
    D er Tempel auf der Insel, um 1780 im Stil von Nicholas Revett erbaut, war als Blickfang gedacht, der ohne alle

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