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McEwan Ian

McEwan Ian

Titel: McEwan Ian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbitte
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bewegen.
Sie dachte an die immense Hitze, die über Haus und Park aufstieg, diesig über den Grafschaften rund um London lag und Höfe und Städte erstickte, und sie dachte an die glutheißen Schienen, die Leon und seinen Freund herbrachten, an das Abteil unter schwarzem Dach, in dem sie bei offenem Fenster geröstet wurden. Sie hatte für den Abend einen Braten bestellt, aber es würde viel zu schwül für ein warmes Essen sein. Sie hörte, wie das Haus sich ächzend dehnte. Oder trockneten Balken und Pfosten aus und zogen sich im Mauerwerk zusammen? Sie schrumpften, alles schrumpfte. Leons Aussichten zum Beispiel auch, die wurden von Jahr zu Jahr schlechter, weil er jede Hilfe von seinem Vater ausschlug und damit die Chance auf eine anständige Beamtenlaufbahn vertat. Eher gab er sich mit dem simpelsten Posten in einer privaten Bank zufrieden und lebte bloß für die Wochenenden und für seinen Ruderachter. Eigentlich müßte sie strenger mit ihm sein, aber er war immer so gutmütig, so zufrieden und stets in Gesellschaft erfolgreicher Freunde. Zu attraktiv, zu beliebt, keine Spur von Kummer oder Ehrgeiz. Eines Tages brachte er vielleicht einen Freund mit nach Hause, der ihre älteste Tochter heiraten würde, falls die drei Jahre im Girton College ihre Älteste nicht um sämtliche Chancen gebracht hatten, Cecilia mit ihrem affektierten Wunsch nach Einsamkeit, der Raucherei im Schlafzimmer und der unmöglichen Sehnsucht nach einer kaum vergangenen Zeit unter dicken, Brillen tragenden Mädchen aus Neuseeland, mit denen sie sich einen Boy geteilt hatte. Oder sagte man Faktotum? Der legere Jargon von Cecilias Cambridge – Audimax, Damenflor oder Fidulität, und dieses blasierte Sichunters-gemeine-Volk-Mischen, die Schlüpfer, die über der Heizung trockneten, und die Haarbürsten, die man zu zweit benutzte, all das verstimmte Emily Tallis ein klein wenig, machte sie aber natürlich überhaupt nicht eifersüchtig auf ihre Tochter. Sie selbst war daheim erzogen und mit sechzehn in die Schweiz geschickt worden für zwei Jahre, die aus wirtschaftlichen Erwägungen auf ein Jahr verkürzt werden gungen auf ein Jahr verkürzt werden mußten, und sie war überzeugt, daß dieses ganze Getue – von wegen Frauen an die Uni – eigentlich ziemlich kindisch war, eine harmlose Laune höchstens, genau wie dieser Achter der rudernden Damen, die doch nur ein wenig neben ihren Brüdern posieren und dabei feierlich das Banner gesellschaftlichen Fortschritts vor sich hertragen wollten. Und das, obwohl die Frauen nicht mal ein richtiges Abschlußzeugnis erhielten. Als Cecilia im Juli mit ihrem Examen nach Hause kam – was für eine Unverschämtheit von diesem Mädchen, auch noch unzufrieden mit den Noten zu sein! –, hatte sie noch keinen Mann, von Kindererziehung keine Ahnung und keinerlei praktische Kenntnisse, aber was hätten ihr die Lehrerinnen, diese Blaustrümpfe mit den dämlichen Spitznamen und dem furchterregenden Ruf, auch beibringen können? Diese aufgeblasenen Weiber gewannen Unsterblichkeit durch die schlichtesten, lächerlichsten Verschrobenheiten, etwa, weil sie eine Katze an einer Hundeleine spazieren führten, mit dem Männerrad fuhren oder sich mit einem Sandwich in der Hand auf der Straße zeigten. Eine Generation später würden diese dummen, Ignoranten Damen längst tot sein, aber am Professorentisch noch immer verehrt und im Flüsterton bewundert werden. Als sie spürte, wie das Biest im schwarzen Pelz sich regte, ließ Emily ihre Gedanken wandern, schickte sie fort von der ältesten Tochter und sandte die Tentakeln ihres bangenden Gemüts nach der Jüngsten aus. Die arme Briony, die sanfte, liebe Kleine, die ihr Bestes gab, die abgebrühte Kusine und die quirligen Vettern durch ihr mit Herzblut geschriebenes Schauspiel zu unterhalten. Sie zu lieben war ein Trost, doch wie sie gegen ein Scheitern schützen, gegen Lola, diese Wiedergeburt von Emilys jüngster Schwester, die in ihrer Jugend ebenso altklug und intrigant gewesen war und sich soeben aus ihrer Ehe verdrückt hatte, aber wollte, daß alle Welt einen Nervenzusammenbruch dafür verantwortlich machte? Emily konnte es nicht wagen, an Hermione zu denken. Also achtete sie im Dunkeln auf einen ruhigen Atem und lauschte angestrengt, um den Ablauf der Ereignisse an den Geräuschen abzulesen. In ihrem Zustand war dies alles, was sie zum Geschehen beitragen konnte. Sie legte eine Hand an die Stirn, und wieder knackte es, als das Haus sich enger zusammenzog. Tief

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