McEwan Ian
unten erscholl ein metallisches Scheppern, vielleicht ein Topf, der zu Boden gefallen war: der sinnlose Braten im Anfangsstadium seiner Vorbereitungen. Von oben vernahm sie das Getrappel von Füßen, die über Dielen liefen, und Kinderstimmen, mindestens zwei oder drei gleichzeitig, erst lauter, dann leiser, gleich darauf wieder laut, vielleicht ein Streit, vielleicht auch helle Begeisterung. Das Kinderzimmer lag einen Stock über ihr und nur ein Zimmer weiter. Die Heimsuchungen Arabellas. Wäre sie nicht so krank, würde sie nach oben gehen und die Kleinen beaufsichtigen oder ihnen helfen, denn sie hatten sich zuviel vorgenommen, das wußte sie. Ihre häufige Unpäßlichkeit hinderte sie, den Kindern zu geben, was eine Mutter ihnen geben sollte. Das hatten die Kleinen gespürt und sie deshalb schon immer beim Vornamen genannt. Cecilia müßte ihr eigentlich zur Hand gehen, aber die war zu sehr mit sich selbst beschäftigt, zu intellektuell, um sich mit Kindern abzugeben… Zum Glück widerstand Emily der Versuchung, diese Überlegungen weiter zu verfolgen; sie trieb langsam dahin, fiel nicht gerade in einen Schlaf, versank aber in invalide Gedankenleere, und viele Augenblicke vergingen, bis sie auf dem Flur vor ihrem Schlafzimmer Schritte hörte, nackte Füße, den gedämpften Lauten zufolge, also mußte es Briony sein. Das Mädchen trug bei diesem heißen Wetter einfach keine Schuhe. Minuten später hörte sie heftiges Gerangel, wieder aus dem Kinderzimmer, und etwas Hartes schusselte über den Boden. Mit den Proben war es vorbei, Briony hatte sich schmollend verzogen, und die Zwillinge tobten durch das Zimmer, während Lola – falls sie ihrer Mutter denn tatsächlich so ähnlich war, wie Emily vermutete – still triumphierte.
Ständiges Grämen um die Kinder, ihren Mann, ihre Schwester oder um die Küchenhilfe hatte ihre Sinne aufgerauht; Migräne, Mutterliebe und im Laufe der Jahre so manche reglose Stunde auf dem Bett hatten aus ihren Empfindungen einen sechsten Sinn destilliert, ein vielarmiges Gespür, das im Halbdunkel durch das Haus tastete, ungesehen und allwissend. Nur die Wahrheit fand den Weg zu ihr zurück, denn was sie wußte, das wußte sie. Gedämpftes Stimmengemurmel drang durch teppichbedeckten Boden herauf und war für sie deutlicher als ein Typoskript: Eine Unterhaltung, die eine Wand, besser noch zwei Wände durchdrang, hatte bis auf die entscheidenden Nuancen und Wendungen alles Überflüssige abgestreift. Was für andere nur ein dumpfer Laut zu sein schien, wurde durch ihre wachen Sinne, empfindlich wie die Elektroden über dem Kristall eines Rundfunkempfängers, ins nahezu Unerträgliche verstärkt. Sie lag im Dunkeln und wußte Bescheid. Je weniger sie tun konnte, um so vertrauter wurde ihr alles. Doch obwohl sie manchmal gern aufgestanden und eingeschritten wäre, vor allem, wenn sie meinte, daß Briony sie brauchte, hielt der Schmerz sie ans Bett gefesselt. Schlimmstenfalls fuhr ein Zwillingspaar Küchenmesser über ihren Sehnerv, kurz darauf wieder, mit stärkerem Druck, und sie war aufs neue völlig abgeschottet und allein. Sogar ein Stöhnen verschlimmerte ihre Qual.
So lag sie dort, während der Nachmittag dahinging. Die Haustür wurde geöffnet und wieder geschlossen. Bestimmt war Briony verbittert nach draußen, ans Wasser, geflüchtet, zum Pool oder an den See, vielleicht auch bis hinunter an den Fluß. Emily hörte leise Schritte auf der Treppe – Cecilia, die endlich die Blumen ins Gästezimmer trug, eine kleine Gefälligkeit, an die sie sie schon mehrfach hatte erinnern müssen. Später rief Betty nach Danny, dann rollte eine Kutsche über den Kies, und Cecilia ging nach unten, um die Gäste zu begrüßen. Bald zog durch das Dämmerlicht ein Hauch von Zigarettenqualm – dabei war Cecilia schon tausendmal gebeten worden, auf der Treppe nicht zu rauchen, doch wollte sie bei Leons Freund Eindruck machen, was an sich nichts Schlechtes war. Stimmen hallten über den Flur, Danny kämpfte mit dem Gepäck, ging wieder runter, dann Stille – Cecilia dürfte mit Leon und Mr. Marshall zum Pool gegangen sein, um jenen Punsch zu trinken, den Emily am Morgen eigenhändig zubereitet hatte. Sie hörte ein vierbeiniges Geschöpf die Treppe heruntertollen – die Zwillinge, die ins Schwimmbecken wollten und enttäuscht feststellen würden, daß die Erwachsenen sich am Becken aufhielten.
Sie glitt in einen Dämmerschlaf hinüber und wurde von einer brummenden Männerstimme im Kinderzimmer und
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