Mea culpa
»Ich habe Hummer.«
»Hummer? Wo in aller Welt hast du den denn aufgetrieben? Es ist doch noch gar keine Saison!«
»Darüber brauchst du dir nicht dein hübsches Köpfchen zu zerbrechen.«
Synne bückte sich wieder, machte sich lange an ihrem Korb zu schaffen, richtete sich endlich wieder auf und bot Rebecca einen Teller an. Hummerschwanz, frisch und groß und eindeutig nicht aus Kanada. Zitronenscheiben und Dillzweig. Weißbrot mit guter Butter. Eine halbe Tomate mit Salz und Pfeffer.
»Prost!«
Sie tranken und aßen, zeigten sich gegenseitig spannende Dinge und lachten, redeten und summten. Synne sang. Ab und zu stand der Ballon in der Luft fast still, dann schlossen sie die Augen, hielten die Gesichter in die Sonne und spürten die wunderbare Wärme. Allmählich und fast unmerklich ließen sie Oslo und den Tag hinter sich zurück. Der Ballon näherte sich einer schwachen Dämmerung und dem Landeplatz, und sie konnten bereits den Wagen sehen, von dem sie erwartet wurden. Der Fahrer lehnte an der Motorhaube und las Zeitung.
Auf der Ballonfahrt hatten sie Schloss und Parlament gesehen. Im Markvei wohnte eine Freundin von Synne. Und dort, in dem grünen Haus, hatte Rebecca vor einer Ewigkeit ihren ersten Sommerjob gehabt. Die grüne Grasmatte des Stadions Bislett war leicht zu finden, und in der Storgata waren fast nur Ausländer zu sehen. Sie hatten nach allem Möglichen Ausschau gehalten und es auch gefunden.
Aber kein einziges Mal hatte eine von ihnen auch nur den Versuch gemacht, die Villa oben am Holmenkollåsen zu finden.
Die schmutzigen Teller lagen ordentlich im Korb, zusammen mit den Sektgläsern und einer nur halb geleerten Schale mit Erdbeeren.
»Irgendwann ziehen wir zusammen«, flüsterte Synne Rebecca ins Ohr.
»Ohne eine einzige John-Denver-Platte.«
»Das meinst du doch nicht im Ernst.«
»Doch, das ist mir tödlich ernst.«
»Meinst du, wir können vielleicht zusammenziehen?«
Rebecca schaute nach unten. Nur fünfzig Meter unter ihnen grasten vierzehn Schafe.
»Wenn du den da rausschmeißt«, sagte sie.
Ihr Fuß tippte den Cassettenrekorder an.
»Wenn wir zusammenziehen, schmeiße ich alles raus, was ich habe«, flüsterte Synne. »Meinst du das wirklich?«
Als sie landeten, hatte Rebecca diese Frage noch nicht beantwortet.
22
Im Laufe der Zeit hatte Synne sich an dieses Leben gewöhnt, dieses hektische und rasche Leben, in dem Rebecca zeitweilig fehlte und in dem immer die Voraussetzung herrschte, dass sie erreichbar sein musste, wenn Rebecca eine Nische für sie fand. Zwei lange Jahre waren vergangen, seit die Sonne fast vom Himmel gefallen wäre, und Synne war zur Büroleiterin befördert worden; das hatte sich nicht vermeiden lassen, sie war jetzt eine Veteranin mit fünf Jahren Fahrtzeit, und sie schrieb weniger. Es brachte ja doch nicht so viel, meistens saß sie nur hilflos vor dem Computer und zerbrach sich den Kopf. Sie drehte ihre Runden mit Cetacea und fing an, Selbstgespräche zu führen. Da sie nie wusste, wann Rebecca auftauchen würde, war sie fast immer zu Hause. Jetzt riefen fast nur noch ihre Eltern und ihre Schwester sie an. Und sie hatte keiner Menschenseele von Rebecca erzählt. Selbst Finn hatte sich geschlagen geben müssen.
Es tat gut und zugleich weh. In gewisser Hinsicht waren Rebecca und Synne sich selbst genug, und dem Ganzen haftete eine gewisse Würde an, der Geheimhaltung, der Verstellung, des Privaten ihrer Beziehung. Synne kam sich so anständig vor; sie hielt Rebeccas Leben in ihren Händen und fand eine Art ruhiger Zufriedenheit darin, dass sie schweigend alles aufgegeben hatte, was einmal gewesen war. Zugleich war die Sache eine entsetzliche Lüge, die jederzeit auffliegen konnte.
Schon von Anfang an hatte sie wegen Mauritius gequengelt. Das war natürlich ausgeschlossen und nur ein Traum, aber auf einer realistischeren Ebene hatte sie Ziele wie Kreta, Rhodos oder sogar Las Palmas in die Debatte geworfen. Einen Ort, wo sie mehr als nur einige Stunden am Stück zusammen sein könnten. Sie wusste, dass das unmöglich war.
An dem Tag, an dem Rebecca kam und erzählte, dass sie zusammen verreisen würden, sah sie aus wie ein Teenager. Ihr Gesicht glühte, und sie lächelte, als gäbe es auf der ganzen Welt keine Probleme. Sie trug ein T -Shirt – bei ihrer ersten Begegnung hatte sie so ein Kleidungsstück nicht besessen. Sie gestikulierte, als sie von ihren Reiseplänen erzählte, spontan und ungewohnt. Synne konnte das alles erst glauben, als
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