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Mea culpa

Mea culpa

Titel: Mea culpa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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wollte nicht lügen, und ich bin wirklich einmal mit einem Rennwagen gefahren. Keinem Indy natürlich, sondern einem echten Rennwagen. Aber das war in Norwegen. Ich war noch nie in den USA , um ehrlich zu sein. Aber in Norwegen hören wir so viel von dort, weißt du, wir sehen Filme und Fernsehsendungen und …«
    Ein Schnarchen, leise und kindlich süß, lässt meinen Bekenntnisstrom und meine Erörterung des Kniefalls der norwegischen Kultur vor der der US-amerikanischen versiegen. Ich erreiche ihn nicht mit meinem Bedauern. Ich habe auch sie nicht erreicht, sie hat mir keine Gelegenheit dazu gegeben, und ich denke an sie und daran, wie oft im Leben alles zu spät ist.
    Ich stütze mich auf den einen Arm und beuge mich vorsichtig über ihn. Mit halboffenem Mund und einem Speichelfaden im einen Mundwinkel, mit halbgeschlossenen Augen und verfilzten Wimpern – ich kann es deutlich im schwachen Licht sehen, das durch den Spalt der Badezimmertür fällt – mit seiner ganzen schlafenden, schmächtigen, siebenjährigen Gewichtigkeit ist er der Inbegriff der totalen Unschuld, und das kann ich nicht ertragen. Ich stehe leise auf, nehme mein Kissen und die eine Decke, und ehe ich gehe und mich auf das gebrechliche Sofa lege, bleibe ich für einen kurzen Moment stehen und betrachte diesen Inbegriff kindlicher Schönheit; sein Bein hängt aus dem Bett, nackt und knabenhaft, ganz schwarz vor dem weißen Bettzeug, er liegt mit schräg gehaltenem Kopf auf dem Rücken, seine Haare sind zu lang, und er riecht nach Salz und ein wenig nach Öl, merke ich, als ich es wage, mich über ihn zu beugen, um ihn besser sehen zu können; er hat die Arme über dem Kopf verschränkt, die Fäuste sind locker geballt, und ich ahne eine leichte Bewegung des Mundes, ein Murmeln, ehe er die Decke wegtritt und sich auf den Bauch dreht; sein Fuß hängt noch immer über die Kante, er könnte aus dem Bett fallen, aber ich wage es nicht, ihn anders hinzulegen oder ihn wieder zuzudecken; ich lege mich aufs Sofa und weine, wie ich es seit meiner Ankunft auf diesem Flecken im Indischen Ozean noch nicht getan habe; ich weine in ein Kissen, das fremd riecht und das mir nichts im Tausch gegen den Schmerz geben kann, der mich irgendwann ganz und gar zerbrechen wird.
    24
    Die Katastrophe holte sie schon nach drei Tagen in Form eines Telefonanrufes ein. Das, worauf Synne eigentlich gewartet hatte, von dem sie jeden Tag geträumt hatte, über das sie beide nur nicht sprechen konnten, es war zu gefährlich für Rebecca und zu wünschenswert für Synne, jetzt kam es.
    Als sie vom Strand zurückkehrten, wurden sie an die Rezeption gerufen.
    »Señora Schultz, please. Señora Schultz!«
    Synnes instinktive Angst verstärkte sich noch, als sie hörte, wie der Mann hinter dem Tresen mit öligglattem Gesicht etwas über einen Anruf aus Norway sagte.
    Es kommt ja vor, dass wir aus dem Ausland zu Hause anrufen, zumeist, um mitzuteilen, dass alles in Ordnung ist, wishing you were here und so (Synne hatte es sich zum Beispiel zur Gewohnheit gemacht, Rebecca anzurufen, egal wo auf der Welt sie sich gerade aufhielt – ihre Durchwahlnummer im Büro natürlich, niemals zu Hause –, und auch wenn sie in den letzten zwei Jahren kaum verreist war, höchstens nach Alesund oder Kragero oder so, hatte sie es doch auch geschafft, ausgerechnet von Moskau aus durchzukommen, wo sie im Vorjahr, als das Land noch Sowjetunion hieß, eine überflüssige, vom Ministerium veranstaltete Konferenz besucht hatte). Aber es war etwas ganz anderes, selbst unterwegs angerufen zu werden. Das war ein Verstoß gegen alle Regeln, gegen das, was fast schon als Vertrag zwischen allen Reisenden und ihren Angehörigen bezeichnet werden konnte. Man ruft zu Hause an. Wer zu Hause ist, ruft dich nicht an. Es sei denn, es ist etwas Schlimmes passiert.
    Rebecca führte ein leises Gespräch mit dem noch immer lächelnden Mann hinter dem Resopaltresen, kritzelte etwas auf einen Zettel, den sie ihm dann reichte, vermutlich eine Telefonnummer, und wurde danach höflich zu einem kleinen Kasten an der Wand einige Meter weiter gewiesen, einem altmodischen Telefonapparat ohne Drehscheibe auf einem kleinen Regalfach aus Lochblech.
    »Das ist Christian. Er hat angerufen!«
    Der Rezeptionist hob den Daumen, als Zeichen dafür, dass er Norwegen an der Strippe hatte, und das Telefon vor Rebecca klingelte. Rebecca war bleich unter der leichten Sonnenröte der drei Tage. Doch ihre Hände waren ruhig, als sie zum Hörer

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