Mea culpa
mit dem Mund, dessen Amorbogen keinen Konturstift brauchte, um zu zeigen, dass es fast unmöglich war, ihn nicht zu küssen. Sie hätte gern die Hand über den Tisch ausgestreckt, um Rebeccas Arm zu nehmen, ihn zu sich zu ziehen und Finn aufzufordern, die Haut zu berühren. Fühl mal, spürst du das, ist es nicht unglaublich, so fest und trocken und weiblich! Er sollte Rebeccas Duft bemerken, den schwachen, exotischen Duft, der von keinem Parfüm stammte: Riech mal! Fühl mal! Sieh mal!
»Um ehrlich zu sein, Finn, wir müssen etwas besprechen. Kann ich dich bald mal anrufen, ja?«
Er nickte viel sagend.
»Aber sicher«, sagte er. »Klar. Aber kann ich noch schnell mein Bier austrinken?«
Trink fünf, dachte Synne. Trink die ganze Bude leer.
»Ehrlich gesagt«, sagte der ungeschickte, magere Mann. »Warum kommst du nicht mehr zum Training?«
Er ließ sich auf dem Stuhl zurücksinken und musterte sie, er lehnte sich zur Seite und betrachtete sie von Kopf bis Fuß.
»Du hast zugenommen. Ha! Komm doch einfach am Freitag mal wieder vorbei.«
»Mal sehen.«
»Und du?«, wandte er sich an Rebecca. »Was machst du so? Kennen wir uns nicht irgendwoher?«
»Das glaube ich nicht«, sagte Rebecca.
Eine seltsame Metamorphose hatte sich ereignet. Rebecca war eine Fremde. Sie gehörte nicht mehr Synne. Sie war die kühle, aber freundliche Abteilungsleiterin, die Synne am allerersten Tag gesehen hatte, am Johannistag, die, vor der sich alle ein wenig fürchteten. Ein unsichtbares Sperrgebiet aus Distanziertheit umgab sie jetzt, und ihre lässige Kleidung wirkte fehl am Platze. Synne war zuerst verwirrt von dieser Veränderung, dann wurde sie ungeheuer erregt. Ihr Herz raste los, und sie musste sich darauf konzentrieren, nicht zu schnell zu atmen. Sie leckte sich die Lippen und machte sich alles andere als diskret an ihren Hemdknöpfen zu schaffen. Ihre Röte war schon deutlich spürbar, und als sie aufblickte, konnte sie in Rebeccas Gesicht ein Lächeln ahnen, aber wirklich nur ahnen.
»Ich bin sicher, dass wir uns irgendwoher kennen«, sagte Finn beharrlich und starrte Rebecca an, während er ein Auge zukniff. »Kennst du Lise und Fredrik?«
»Nein. Und ich habe dich jedenfalls noch nie gesehen.«
Er saß weiterhin da und ließ Rebecca nicht aus den Augen. Beide schwiegen, und Synne kämpfte mit einer lähmenden Mischung aus Triumph und Niederlage; sie konnte Rebecca nicht vor dem beschützen, wovor sie vor allem beschützt werden wollte, während zugleich die ganze, fast zwei Meter lange Gestalt ihres Bekannten verriet, wie beeindruckt er war.
»Na gut«, sagte er schließlich und leerte sein Glas auf einen Zug. »Ich muss weiter. Nett, dich kennen zu lernen.«
Er nickte Rebecca zu und beugte sich über Synne, um sie zu umarmen. Er flüsterte ihr eine kurze, begeisterte Bemerkung ins Ohr, die sie jedoch nicht verstand.
Rebecca blieb den ganzen Abend fremd. Sie wollte nicht mit Synne nach Hause kommen. Aber hier in der Kneipe war das eigentlich nicht schlimm.
20
»Why are you so afraid all the time?«
Sie steht vor mir, obwohl gar nichts gereinigt werden muss.
Weich und selbstverständlich lehnt sie sich an den Türrahmen, sie steht dort als dunkle Silhouette im weißen Sonnenlicht, das mich daran hindert, ihr in die Augen zu sehen. Ich liege noch im Bett, obwohl ich schon seit mehreren Stunden wach bin.
»Angst? Ich habe doch keine Angst!«
Sie gibt keine Antwort, und obwohl ich ihr Gesicht nicht sehen kann, höre ich ein Lächeln, das den Raum füllt, das die Wände auseinander schiebt und mich dazu bringt, aufzustehen, um es fortzufegen, um sie wegzuwischen, aus meinem Bungalow, in dem sie nichts zu suchen hat. Jetzt nicht. Nicht, solange es hier sauber und ordentlich ist und meine schmutzige Wäsche noch in eine kleine Plastiktüte passt.
Doch sie geht nicht. Sie kommt weiter ins Zimmer, langsam, aber nicht zögernd, und sie schaut den einen der beiden Korbsessel an.
»Darf ich mich einen Moment setzen?«
Was ist passiert? Sie spricht ein wunderschönes, korrektes Englisch; sie ist höflich, und ihre Sprachmelodie klingt ein wenig exotisch. Meine Verblüffung hindert mich daran, höflich zu sagen, nein, das geht jetzt nicht, ich habe so entsetzlich viel zu tun, verstehst du.
»Natürlich. Möchtest du … Kaffee? Möchtest du eine Tasse Kaffee?«
»Ja, bitte.«
Der Stuhl ächzt nur ganz leicht, als sie sich setzt; unter meinem Gewicht droht er immer lautstark mit einem Zusammenbruch.
Das Klappern
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