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Mea culpa

Mea culpa

Titel: Mea culpa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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anderen dick und fett, und alles wird immer nur schlimmer. Er hat es auch anderen erzählt, und ich habe schreckliche Angst davor, dass Asha mich fragen könnte, ob es stimmt.
    »Vroooom, vrooooom«, sagt Petter (ich habe Pierrot aufgegeben, und außerdem runzelt er die Stirn und sagt Petter, Petter, wenn ich ihn bei seinem wahren Namen nenne) und reißt energisch ein imaginäres Lenkrad herum, als er zur Tür hereingestürmt kommt. »Ich will hier übernachten!«
    Er ist so eifrig, dass er Französisch spricht, aber einiges von dem, was ich als Kind gelernt habe, fällt mir wieder ein.
    »Bist du sicher?«, frage ich skeptisch. »Hast du deine Mama gefragt?«
    Dann steht Asha in der Tür. Sie kann nur vermuten, was ich da gefragt habe, denn jetzt spreche ich fast nur noch Norwegisch mit dem Jungen.
    »Ja, das ist in Ordnung«, sagt sie und hält mir mit beiden Händen etwas hin.
    Es ist in eine Plastiktüte gehüllt und riecht gut. Es ist eine Schüssel mit Nudeln und allerlei seltsamen Dingen in der Soße, ich erkenne Kammuscheln und Tomaten, und der Duft wird himmlisch, als die Plastikfolie entfernt worden ist.
    »Iss mit uns«, sage ich.
    Ich habe keine zueinander passenden Teller, da der Zyklon meine provisorische Fensterverdichtung gegen das Geschirr-Regal geschleudert hat, aber das macht nichts. Es schmeckt wunderbar, nach Fisch und fremden Kräutern, und wir essen Brot dazu und trinken Wasser aus der Leitung, obwohl das lauwarm ist. Petter redet ununterbrochen, Asha und ich nicken nur und sagen ja, ja.
    Vermutlich aus alter Gewohnheit erledigt dann Asha den Abwasch. Mir ist das erst peinlich, als es schon zu spät ist, und sie vertreibt mich von dem kleinen Spülstein, der zu eng für zwei ist. Sie wischt Tisch und Küchengeräte ab und gibt dem Jungen einen raschen Kuss.
    »Er muss morgen vor zehn Uhr zu Hause sein«, sagt sie und packt die Nudelschüssel ein.
    »Vor zwölf«, ruft Petter hinter ihr her.

    Die Nacht ist ganz anders, jetzt, wo neben mir ein Mensch liegt. Wir riechen nach Salz und Sonne, und das Bettzeug ist ein wenig klamm. Er lacht weiß in der Dunkelheit und streift die Decke ab. Er trägt nur eine frischgewaschene Schlafanzughose, so alt, dass sie ihm gerade bis zu den Knien reicht.
    »Ich komme mit nach Amerika«, sagt er. »Ich will auch Auto fahren.«
    Er hat das Norwegische jetzt wirklich schon im Griff.
    Ich starre den Ventilator unter der Decke an.
    »Du, Petter«, sage ich auf Englisch, er muss das jetzt wirklich genau verstehen. »Das da mit den Indy-Car-Rennen … Das stimmt eigentlich überhaupt nicht.«
    Der Ventilator bleibt stehen.
    Niemand hat den Knopf an der Wand beim Badezimmer berührt. Der Rotor bleibt auch nicht auf die übliche Weise stehen, zögernd und widerwillig, eine Minute lang immer langsamer werdend, ehe er sich mit einem leisen Seufzen geschlagen gibt. Nein, er bleibt einfach stehen; innerhalb von drei, vier Sekunden ist den Drehblättern keine Bewegung mehr anzusehen, und irgendwoher ertönt ein unheil verkündendes Summen. Der Sicherungskasten? Gibt es hier so etwas?
    »Der Strom«, heult der Junge.
    Er rennt schon zur Haustür, noch ehe ich zu Ende überlegt habe.
    Draußen? Befindet sich der Sicherungskasten draußen?
    Ich trotte hinterher, in einem riesigen T -Shirt, das fast als Nachthemd durchgehen könnte.
    Petter liegt bäuchlings vor einem kleinen grauen Kasten, der fast auf dem Boden angebracht ist. Es gibt keinen Schlüssel, aber Petter hat aus der Küche ein Messer mitgebracht und kann den Kasten im Handumdrehen öffnen, was eine fast schon besorgniserregende Einbrecherroutine verrät. Was er dort unten treibt, kann ich im Dunkeln nicht so recht sehen, aber schon nach wenigen Minuten höre ich, wie der Ventilator sich wieder in Bewegung setzt. Vielleicht liegen dort unten im Schrank unbenutzte Sicherungen, so wie zu Hause. Das Mysterium eines im Freien angebrachten Sicherungskastens in einem Land, in dem es große Teile des Jahres in Strömen gießt, beschäftigt mich nur am Rande. Ich bin müde, muss aber eine Lüge aus der Welt schaffen, ehe ich schlafen darf.
    »Hör mal«, sage ich energisch, als wir wieder im Bett liegen. »Ich muss mit dir über diese Indy-Car-Sache reden. Es ist nämlich sozusagen so … Es stimmt ganz einfach nicht.«
    Es ist still im Zimmer, ich kann nicht einmal seinen Atem hören, nur die Grillen, die ewigen Grillen, fiedeln draußen ihr Klagelied.
    »Es tut mir Leid, dass ich … dass ich so aufgeschnitten habe. Ich

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