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Mea culpa

Mea culpa

Titel: Mea culpa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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stand.
    »Aus irgendeinem Grund habe ich das immer schon geglaubt. Auf eine seltsame Weise sind wir uns sehr ähnlich. In Bewegungen und Gesten, aber wenn jemand das sagte, lachte er nur und sagte, er habe eben einen schlechten Einfluss auf mich gehabt. Aber meine jüngste Schwester hat auch Ähnlichkeit mit mir, sehr große Ähnlichkeit, obwohl sie blond und blauäugig ist und natürlich eine andere Mutter hat. Unsere Mutter. Also, nicht meine Mutter, sondern meine  …«
    »Ich habe schon verstanden«, fiel Synne ihr ins Wort. »Vesla Lange.«
    »Außerdem kann ich nicht 1946 geboren sein. Ich muss ein Jahr jünger sein.«
    Jünger. Synne bekam fast keine Luft, und sie starrte Rebeccas Hand an.
    »So sind sie. Meine Eltern. Alles muss seine Ordnung haben. Sie streben Ordnung an und belohnen andere dafür. Es ist absolut in Ordnung, ein Kind zu adoptieren. Fast edel, vor allem bei der Geschichte meiner Familie, sie konnten doch selber Kinder bekommen, aber mich haben sie angeblich einfach von der Straße aufgelesen. Überaus bewundernswert. Auf diese Weise war ich das Tüpfelchen auf dem ›i‹, die Zierde der Familie; bis das hier passiert ist, das mit dir. Vielleicht ist es mir deshalb noch wichtiger geworden, das mit meinem Vater zu durchschauen. Weil ich dich kenne, meine ich. Weil ich nicht mehr gut genug für die Familie bin.«
    Synne hatte tausend Wörter im Bauch, aber keines wollte herauskommen.
    »Der einzige Grund, dass sie sich noch immer mit mir treffen, sind die Kinder. Sie sind auch für mich wirklich der einzige Grund, sie zu treffen. Beinahe, jedenfalls. Mein eigenes schlechtes Gewissen, weil sie so alt sind, und weil sie Anspruch auf die Kinder haben. Er hat gelogen. Ich weiß nicht, ob meine Mutter es weiß. Er ist mein Vater, und dann kann ich erst im Sommer 1947 geboren worden sein. Stell dir vor  …«
    Eine Clique von Jugendlichen lief johlend vorbei, wie Jugendliche das so machen, zwei Mädchen von vielleicht sechzehn bildeten den selbstbewussten Mittelpunkt für die Aufmerksamkeit der vier lärmenden Knaben. Synne starrte noch immer Rebeccas Hand an, versuchte, sie festzunageln, nimm sie nicht weg, zieh sie nicht zurück, und es half; sie lag noch immer da und wärmte Synne durch den Jeansstoff, eine Sensation.
    »Er war jung und sah gut aus und arbeitete in Südkorea für die USA . Ehe 1948 die UNO -Truppen kamen. Er war seit dem Sommer 1946 dort. Er muss irgendeine Frau kennen gelernt haben. Bestimmt war es keine Prostituierte, denn er hat ja gewusst, dass ich seine Tochter war. Was dann passiert ist und warum er mich mit nach Norwegen genommen hat, weiß ich natürlich nicht. Ich weiß nicht einmal, ob meine Mutter die Wahrheit kennt. Vermutlich weiß sie es, ohne es wissen zu wollen. Das wäre typisch für sie. Sie kann die seltsamsten Dinge vergessen, wenn sie sich nicht erinnern will. Meine Mutter kann vor der Tatsache, dass die Welt rund ist, die Augen verschließen, wenn es vornehmer klingt, sie eine Scheibe sein zu lassen.«
    Rebeccas Stimme klang nicht hart, keine Bitterkeit war darin zu ahnen, sie hörte sich eher entschieden an, sachlich. Jetzt nahm sie Synnes linke Hand in ihre rechte, drückte sie hart, schaute ihr lange in die Augen und stand auf.
    »Er hat mich immer verleugnet. Er hat gedacht, er könnte damit durchkommen, wenn er mich zu sich nahm, mich eine Pseudo-Tochter sein ließ, die alle bewunderten. Jetzt weiß ich, wie schlimm das für ihn gewesen sein muss, wie klein ihn das gemacht hat.«
    Hand in Hand gingen sie zu den Pferdeställen hinüber. Diese Intimität verwirrte Synne, sie war unangenehm ungewohnt, sie versuchte, loszulassen, aber das erlaubte Rebecca nicht.
    »Aber, Rebecca«, sagte Synne und versuchte, stehen zu bleiben, »wie hast du das alles herausgefunden? Jetzt, nach so vielen Jahren?«
    Rebecca drehte sich zu ihr um, ohne sie loszulassen, und sie lächelte schwach, ein Mona-Lisa-Lächeln, es war ihre klügste Miene überhaupt; sie griff sich mit der freien Hand ans Ohr, rieb daran, und die Haare fielen ihr ins Gesicht.
    »Ein DNA -Test«, sagte sie kurz. »Ich habe Haare von seiner Bürste gestohlen.«
    Endlich lockerte sie ihren Zugriff auf sie, diesen demonstrativen Zugriff auf sie, den keine von ihnen wirklich wollte. Sie schlang sich die Arme um den Leib und lief auf die Straßenbahnen in der Rådhusgate zu.
39
    Der Bungalow wird kreideweiß. Da ich hier kein Jotun 07 bekomme, muss ich mich mit einer kalkigen geruchlosen Billigfarbe

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