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Mea culpa

Mea culpa

Titel: Mea culpa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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etwas passiert war. Die Mutter wollte zu den anderen.
    »Zur übrigen Familie«, sagte sie.
    Synne blieb stehen. Aber Silje winkte, heftig, einladend, und ihr Mund formte ein übertriebenes und lautloses » KOMM! «. Und Rebecca drehte sich plötzlich zu ihr um, das Kleid saß eng, und sie hatte die glänzendsten Haare von allen, und sie hob ein schmales Champagnerglas hoch, während ein wunderschöner Diamant in ihrer Halsgrube seine bunten Strahlen über alle sechzig Gäste aussandte; sie hob ihr Glas halb einladend, halb gebieterisch, aber Synne wollte nicht zu ihr gehen, sie wollte hier stehen, unten auf dem Rasen, und das Bild der Familie betrachten, es einkleben, es für den Rest ihres Lebens speichern; das Bild des Tages, an dem ihre Schwester geheiratet hatte und an dem Rebecca seit genau sieben Jahren Synnes Leben gewesen war.
38
    Der Film war nicht besonders gut, aber das spielte keine Rolle. Wichtig war, dass sie überhaupt ins Kino gingen. Es war eine Freistätte, ein Ort, wo sie einander an den Händen halten konnten, versteckt unter einer Jacke, einem Oberschenkel oder, wenn sie ganz besonders mutig waren, einfach nur im Schutz der segensreichen Dunkelheit vor der Leinwand. An diesem Abend war der Saal so gut wie leer, sie hatten die Reihe für sich, und sie saßen ganz hinten; sie lehnten sich aneinander, und jede spürte durch ihre Kleidung die Wärme der anderen, die Wärme und alles Gute, was genau so war, wie es die ganze Zeit gewesen war, von Anfang an eben.
    »Ich begreife nicht, wie du das aushältst«, sagte Rebecca leise. »Das ist unfassbar.«
    »Ich möchte ja wissen, wie oft du das schon gesagt hast«, erwiderte Synne lächelnd, sie brauchten nicht zu flüstern, es war ein lauter Film, und sie waren fast allein.
    »Aber so ist das eben. Ich begreife es nicht.«
    Denzel Washington beugte sich maskulin über eine strahlend schöne Julia Roberts und hatte auf einem Computerbildschirm offenbar etwas Aufsehen Erregendes entdeckt.
    »Nach der Hochzeit fand ich es noch unbegreiflicher«, fügte Rebecca hinzu. »Deine Familie, die … die Probleme entstehen immer bei mir.«
    »Vergiss mich. Es würde dich nie loslassen.«
    »Ich möchte ja wissen, wie oft du das schon gesagt hast.«
    Jetzt wurde der Film wirklich schlecht. Aber das spielte noch immer keine Rolle.
    »Ich werde mich jetzt bessern«, sagte Rebecca. »Ich finde es wirklich nett, mit deiner Familie und deinen Bekannten zusammen zu sein, in kleinen Dosen und ab und zu.«
    »Mit den wenigen, die ich noch habe«, sagte Synne lächelnd und ohne den geringsten Vorwurf in der Stimme.
    Rebecca achtete nicht darauf.
    »Ich habe eine wichtige Feststellung gemacht«, sagte sie stattdessen. »Etwas, das ich schon lange geahnt habe, aber das ich jetzt weiß. Etwas, das  …«
    »Gehen wir?«
    Synne hatte sich halbwegs erhoben und sah Rebecca an. Die zögerte und starrte kurz zurück, dann zog sie ihre Jacke vom Sitz vor ihr und nickte. Als sie hinausgingen, stürmte Denzel hinter ihnen her.

    »Wie so etwas eine Ehe symbolisieren kann, ist mir ein Rätsel.« Rebecca musterte Henry Moores Skulptur auf dem Rasen hinter der Festung Akershus.
    »Hart und gewaltig und reichlich viereckig«, sagte Synne. »Klingt doch passend. Aber ich war ja nie verheiratet, woher soll ich das also wissen.«
    Ihre Hand lag leicht auf Rebeccas Schulter, eine gefährliche Herausforderung, aber etwas gab ihr Mut, etwas, das neu war und vielleicht mit Rebeccas Entdeckung zu tun hatte. Die Hand durfte liegen bleiben, und nicht nur das, Rebecca machte auch selbst eine kurze Bewegung; blitschnell berührte sie Synnes Finger mit ihren eigenen, wie zu einem Segen, und so kam es ihr auch vor.
    »Du bist verheiratet«, sagte Rebecca. »Da sind wir doch einer Meinung.«
    Sie setzten sich auf eine Bank am Rand der Rasenfläche. Die Herbstsonne brannte ein großes, orangefarbenes Loch in den Herbsthimmel über Bærum, und der Stadtteil Aker Brygge hatte den Versuch noch nicht aufgegeben, bierdurstige Jugendliche anzulocken, es war jedoch kühl, und Rebecca zog Handschuhe aus ihrer Tasche. Sie waren steif und eng, und sie konnte sie nicht ohne Mühe überstreifen.
    Dann legte sie die Hand auf Synnes linken Oberschenkel.
    »Mein Vater ist mein wirklicher Vater.«
    »Was?«
    »Vater ist Vater.«
    »Aber  …«
    Synne sah den grauhaarigen, blauäugigen Kaare Faber vor sich, der in fescher Uniform, lächelnd und mit der Fliegermütze unter dem Arm, bei Rebecca auf dem Flügel

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