Mea culpa
ist kein grobes Verbrechen mehr, und ich bin ganz und gar gefangen von dieser Geschichte. Ich beuge mich im Sessel vor, suche ihre Augen, aber die weichen mir aus.
»Eines Nachts, Pierrot war genau ein Jahr alt und schlief bei mir im Zimmer, im Dienstbotenflügel, ganz am Rande des großen Palastes am Hang oberhalb von Curapipe, wurde ich von einem entsetzlichen Lärm geweckt. Ich stürzte ans Fenster. Es brannte. Ich hatte offenbar eine Art Explosion gehört. Der Hauptflügel brannte lichterloh, und ich konnte mich mit dem Kind gerade noch in Sicherheit bringen, ehe die Flammen auch mein Zimmer erreichten. Ich blieb dann stehen, in sicherer Entfernung, und sah mir den Brand an, er war gewaltig, und nichts war mehr zu retten. Das war mir bald klar. Neben dem Kind hatte ich noch Papiere und Haushaltsgeld an mich genommen, das ich auf dem Zimmer gehabt hatte. Und dann ging ich los. Ich ging einfach davon, mit Pierrot in den Armen, er schlief die ganze Zeit, er war gar nicht richtig wach geworden. Ich ging den ganzen Weg nach Port Louis. Später, nachdem ich erfahren hatte, dass seine Eltern im Feuer umgekommen waren, zusammen mit vier Dienern, bin ich hergekommmen. Ich hatte Geld, um mir dieses Haus zu kaufen, und ich hatte Pierrot. Ich habe ihn behalten. Niemand hat je nach ihm gefragt.«
Diese Geschichte ist einfach unglaublich. Wie kann so etwas in einem Land mit weniger als einer Million Einwohner passieren? In einem Land mit einer gewissen bürokratischen Ordnung, mit Klemmbrettmännern, die die Fremden im Blick behalten, mit freien Wahlen und sicher irgendeinem Meldesystem? Natürlich konnten die Eltern nicht mehr nach ihrem Sohn suchen, aber was ist mit den Behörden? Er war doch ein Erbe, unser Petter, und irgendwas musste doch mit dem Vermögen geschehen?
»Du glaubst mir nicht«, sagt Asha und mustert mich lächelnd. »Du hast eine Menge Fragen. Einige davon kann ich beantworten. Ich nehme an, sie haben den Jungen für tot gehalten. Es war ein schrecklicher Brand, und von den Menschen, die sich im Gebäude aufhielten, kann nicht viel übrig geblieben sein. Und er war doch nur ein Baby. Vielleicht haben sie gedacht, er habe bei seiner Mutter geschlafen, dort, wo das Feuer ausgebrochen war. Obwohl es niemals bewiesen worden ist, bin ich ziemlich sicher, dass Grace den Brand gelegt hatte.«
Jede dieser Auskünfte eröffnet neue Fragen. Die Behörden müssen doch nach Asha gesucht haben. Sie war schließlich eine wichtige Zeugin. Wie konnte sie einfach nur verschwinden? Auf einer Insel, die knapp so groß ist wie der Regierungsbezirk Vestfold? Statt zu fragen – ich bin mit Stummheit geschlagen, und meine Zunge kommt mir groß und trocken vor –, fülle ich mein Weinglas bis zum Rand.
»Ich glaube dir«, sage ich und hüstele. »Natürlich glaube ich dir.«
Der Mond hängt groß und schwer über uns, der Widerschein in Ashas Gesicht lässt sie blass aussehen, sie kommt mir jetzt jung vor, munter und erwartungsvoll, und mir graust vor dem, worauf sie sich freut.
»Habe ich mich richtig verhalten?«
»Ich weiß nicht genug«, murmele ich. Jetzt ist sie diejenige, die meinen Blick sucht, ohne ihn zu finden.
»Was hast du neulich abends noch gesagt?«
»Gesagt?«
»Ja, als du bei uns warst. Dieser lateinische Satz.«
»Ach, der.«
Ich stehe aus dem Strandkorb auf, bücke mich und bohre das Glas in den Sand, damit es nicht umkippt. Dann laufe ich die wenigen Schritte zum Wasser, lasse das lauwarme Wasser über meine Beine spülen, schaue auf sie hinunter, in diesem blaukalten Licht kommen sie mir bleicher vor, als sie wirklich sind, und ich sehe, ich muss mir die Zehennägel schneiden.
»Mea culpa extrema absentia conscientiae culpae est.«
»Was bedeutet das?«
Ich stemme die Hände in die Seiten, drehe mich halb um, sehe sie aber nicht an.
»Meine größte Schuld ist das Fehlen von Schuld. Oder so. So ungefähr.«
Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass sie lacht, aber hören kann ich es nicht.
»Das stimmt vielleicht für dich. Aber ich definiere das nicht so. Mein Mangel an Schuldbewusstsein ist der Beweis, den ich brauche, um behaupten zu können, dass ich mich richtig verhalten habe. Denn was hat der Junge im Tausch für seinen Reichtum erhalten? Er hat eine schöne Kindheit, er hat eine Mutter. Er hat eine Mutter, Synne, das hätte er sonst nicht gehabt. Alle hätten es auf den kleinen Wicht abgesehen, genauer gesagt, auf sein Vermögen, er wäre ohne Familie aufgewachsen. Nein …«
Sie
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