Meade Glenn
Yassin. Ist das Ihr richtiger Name?«
»Ist das wichtig?«
Der Tschetschene zuckte mit den Schultern. »Nein, Namen sind im Augenblick nicht von Bedeutung. Es gibt wichtigere Dinge.«
»Und welche?«
»Was genau ist Nikolai zugestoßen? Und warum ist es passiert?«
Karla schüttelte den Kopf. »Ich möchte nicht unhöflich sein, aber es ist besser, wenn Sie es nicht wissen, Ishim Razan. Bitte, das müssen Sie mir glauben.«
»Wenn ein Freund von mir in Schwierigkeiten steckt, geht es mich sehr wohl etwas an.« Razan blieb stehen und musterte sie.
»Ich bin nicht auf den Kopf gefallen, Safa Yassin. Hinter dieser Sache verbirgt sich offenbar viel mehr. Gestern taucht Gorev hier auf, um zu erfa hren, wer ihm ein Polizeifahrzeug, Dienstwaffen und Polizeiuniformen besorgen kann. Natürlich habe ich mich gefragt, was Nikolai hier in Amerika vorhat.
Darauf wusste ich keine Antwort. Ich nahm an, dass es um die tschetschenische Sache ging, und stellte ihm keine Fragen.«
»Jetzt stellen Sie mir Fragen.«
»Nikolai ist ein alter Freund von mir. Ich verdanke ihm sehr viel, unter anderem auch mein Leben. Wenn er in Schwierigkeiten steckt, will ich ihm helfen.«
»Sie haben schon viel für ihn getan, Ishim Razan.«
Razan seufzte. »Hat es etwas mit dem Mann zu tun, der Nikolai die Sachen besorgen sollte? Mit diesem Visto?«
»Nein.«
»Ist die Polizei in die Sache verwickelt?«
Karla zögerte, ehe sie antwortete. »Ja.«
Razan kräuselte nachdenklich die Lippen. Schließlich nickte er, nahm Karlas Arm und ging weiter.
Sie gelangten an einen Bach, über den eine kleine Holzbrücke führte. Auf der anderen Seite stand eine weiße schmiedeeiserne Bank. Sie überquerten die Brücke und blieben vor der Bank stehen. »Setzen Sie sich, Safa Yassin«, bat Ishim Razan.
Karla setzte sich hin und schlug ihren Kragen hoch, um sich vor der Kälte zu schützen. Razan setzte sich zu ihr. Er schaute gen Himmel und blies den Zigarrenrauch in die kalte Luft.
Schließlich sagte er: »Wissen Sie, wie lange Nikolai und ich schon Freunde sind?«
»Nein. Wir haben nie darüber gesprochen.«
»Fast fünfzehn Jahre. Wir haben zusammen im Fallschirmjägerbataillon gedient. Er ist der beste Freund, den ich je hatte. Ein guter Offizier, unter dem jeder Soldat gerne dient.
Mutig und zuverlässig. Ein Mann, der seine Versprechen hält und das auch von anderen erwartet. Ein ehrenhafter Mann, auch wenn die Russen etwas anderes behaupten. In ihren Augen ist er ein Abtrünniger, ein Verräter, dessen Namen sie in den Schmutz ziehen. Sie nennen ihn einen Terroristen, aber für die Tschetschenen ist er ein Freiheitskämpfer und ein Held.«
»Ich weiß.«
»Waren Sie schon einmal in Tschetschenien?«
»Nein.«
»Dann können Sie das nicht wissen. Das tschetschenische Volk bringt ihm größte Achtung entgegen. Als die Russen in mein Land einfielen und mit ihren Panzern, ihrer Artillerie und ihren Bombern kamen, um mein Volk zu vernichten oder gefügig zu machen, tat Nikolai mehr als alle anderen, um mein Volk zu schützen. Er organisierte die Evakuierung der Städte und riskierte sein Leben, um mein Volk vor den Bomben der Russen zu retten. Meine Freunde und ich, die sich im Untergrund versteckten und der Schlacht fernblieben, unterstützten die Kämpfer nach Kräften. Wir lieferten Waffen, Geld und Nachschub. Und diese Hilfe biete ich Ihnen nun an.
Ich werde alles, was in meiner Macht steht, für Sie tun. Alles, was mir gehört, gehört Ihnen. Ich tue es für Nikolai.«
Karla schwieg und schaute ängstlich aufs Haus.
»Sie haben Angst um ihn, nicht wahr?«
»Ja.«
»Der Arzt wird alles für ihn tun. Er ist in guten Händen.«
Razans Zigarre war ausgegangen. Er zündete sie wieder an und fragte Karla: »Lieben Sie Nikolai?«
»Einst habe ich ihn geliebt. Das ist lange her.«
»Und heute?«
»Ich weiß es nicht.«
»Ich glaube, Sie lieben ihn noch immer.«
Sie drehte sich zu Razan um.
Der Tschetschene schmunzelte. »Ich hatte das Glück, mit sieben Schwestern aufzuwachsen. Wenn man sieben Schwestern hat, lernt man die Frauen kennen. Ich glaube, Sie lieben ihn sehr.«
»Vielleicht.«
»Warum erlauben Sie mir dann nicht, ihm zu helfen?«
Karla musterte ihn. Hinter seinen harten listigen Gesichtszügen und dem dunklen Äußeren versteckte sich Güte, die sie rührte. »Das ist nicht Ihr Kampf, Ishim Razan.«
»Wessen Kampf ist es? Sagen Sie es mir.«
Karla stand auf. »Bitte. Ich habe schon zu viel gesagt. Nikolai würde mir nie
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