Meade Glenn
verständlich zu erklären, Mr. President, ohne in technische Details zu gehen.
Einfach ausgedrückt, könnte man sagen, dass diese Probe eine Art konzentrierte Form des VX-Nervengases ist. Es kann mit einer viel kleineren Menge des Nervengases eine viel fatalere Wirkung erzielt werden. Mehr Tote fürs gleiche Geld, könnte man sagen. Es ist eine ganz erstaunliche Sache. Eine brillante wissenschaftliche Leistung.«
Der Präsident zögerte, ehe er etwas erwiderte. Ihm entging die leichte professionelle Erregung in Fredericks Stimme nicht. »Ich möchte Ihnen gern eine Frage stellen, Professor. Könnte eine derartige Chemikalie die Bevölkerung einer Stadt wie Washington vernichten?«
Auch Fredericks antwortete nicht sofort. Vielleicht musste er diese unglaubliche Frage erst verdauen. »Mr. President, die Kraft dieser Chemikalie ist weit größer, als Sie es sich vorstellen können. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Eine stecknadelkopfgroße Menge des VX reicht aus, um einen Menschen zu töten. Die Chemikalie, die wir untersucht haben, könnte meines Erachtens mit einem Zehntel der Menge dasselbe leisten. Um Ihre Frage zu beantworten, setze ich voraus, dass es eine sehr große Menge des Nervengases gibt und es effektiv über der Hauptstadt versprüht werden könnte.«
»Dann setzen Sie das bitte voraus.«
Ein paar Sekunden später war Fredericks angsterfüllte Stimme wieder zu hören. »Sir, wenn das der Fall ist, muss ich Ihre Frage bejahen. Diese Chemikalie könnte problemlos die Washingtoner Bevölkerung auslöschen.«
»Wohin, Lady?«
»Dupont Circle.«
Zwei Blocks von dem Wohnhaus entfernt hielt Karla Sharif ein Taxi an. Der Fahrer mittleren Alters lächelte und musterte sie unverhohlen von oben bis unten. Die Frau schien ihm ausgesprochen gut zu gefallen. »Sie fahre ich überall hin, Lady.«
Als sich der Fahrer in den Verkehr einfädelte, sah Karla seinen neugierigen Blick im Rückspiegel. Sie vermied den Augenkontakt, drehte ihr Gesicht zur Seite und schaute aus dem Fenster. Das Taxi fuhr am Pentagon vorbei, über die Roosevelt Bridge und steuerte auf D.C. und die New Hampshire Avenue zu. Seit zehn Wochen war Washington ihr Zuhause, und die Stadt hatte sie tief beeindruckt.
Als sie im September hier angekommen war, herrschten noch sommerliche Temperaturen, und die weißen Häuser schimmerten in der schwülen Hitze. In den folgenden Wochen hatte sie Rashid geholfen, sichere Verstecke zu suchen und ihre Ausrüstung zu vervollständigen. Sie waren durch die Stadt gelaufen, um nach passenden Lagerhäusern und Depots zu suchen, in denen sie die tödliche Fracht verstecken konnten. In der ersten Woche erkundeten sie in ihrem Wagen die Stadt, damit Rashid die Metropole kennen lernte. Sie zeigte ihm die interessanten Plätze und Gebäude: Washington Harbour, das Weiße Haus, das Smithsonian Institute, die Häuser der Reichen und Berühmten, die in Georgetown in Villen aus dem siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert wohnten. Sie stiegen die Stufen zum Lincoln Memorial hinauf und schauten auf den Reflecting Pool. Von der Bar auf der Dachterrasse des Hilton genossen sie den beeindruckenden Blick auf Washington. Sie hatte immer geglaubt, Washington, wo es keine Wolkenkratzer gab, sei die untypischste amerikanische Stadt. Später erfuhr sie, dass es von Gesetzes wegen verboten war, Gebäude zu bauen, die den Capitol Hill überragten.
Karla schaute in die Gesichter der Menschen auf den bevölkerten Straßen, durch die sie fuhren. Denke nur an deine Mission, sagte sie sich. Du musst dich einzig und allein auf die Sache konzentrieren. Dennoch war es ihr nicht möglich, die unzähligen Gesichter, die sie Tag für Tag sah, zu vergessen. Die Mütter, Väter und Kinder in ihrer Nachbarschaft. Ihre Nachbarn, die Gesichter, die sie auf den Straßen sah: alte Gesichter, junge Gesichter, schwarze Gesichter, weiße Gesichter, Gesichter aller Hautfarben, und alle lebten in dieser multikulturellen Stadt. Die kleinen Jungen und Mädchen, die in den Parks spielten. Der mittellose schwarze Mann, den sie auf der 14. Straße traf. Der freundliche junge Polizist, der ihr den Weg zur U-Bahn erklärte.
Sie musste an die Menschenleben denken, die mit ihrer Hilfe vernichtet wurden, falls etwas schief ging - ob sie wollte oder nicht.
Und natürlich musste sie auch an ihren geliebten Josef denken. Er war der einzige Grund, warum sie hier war. Damit er am Leben blieb, setzte sie ihr eigenes Leben aufs Spiel. Sie lehnte sich zurück und dachte
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