Meade Glenn
Schreibtisch während seiner achtjährigen Amtszeit geschmückt hatte, waren verschwunden. Jetzt war der Raum peinlich sauber. Ein ordentlicher Ort, an dem Sachlichkeit und Arbeitseifer regierten, Tugenden, für die Vasily Kuzmin bekannt war. Der einzige Hinweis auf sein Privatleben waren eine Reihe von Fotos. Eines stand auf dem Schreibtisch und zeigte ihn mit seiner Frau Irena und ihren beiden Töchtern Zoya und Tatiana.
Als Igor Verbatin, der Direktor des Sicherheitsdienstes, ins Büro geführt wurde, entließ Kuzmin seinen Sekretär und sagte zu Verbatin: »Sie glauben also, dass es sich auf diesen Videobändern, über die Sie sprachen, um Nikolai Gorev handelt? Um den Mann, der den Codenamen die Kobra‹ erhalten hat? Er soll Boris Novikov beschattet haben?«
»Ja, ganz genau. Das glauben wir.«
»Und er soll etwas mit dem Mord an Oberst Novikov zu tun haben?«
»In Anbetracht seiner terroristischen Karriere, Präsident Kuzmin, wäre es meiner Meinung nach gut möglich.«
Kuzmin seufzte laut. »Natürlich habe ich schon von Gorev gehört. Frischen Sie meine Erinnerung bitte dennoch ein wenig auf. Was wissen wir von ihm?«
»Nikolai Gorev ist gebürtiger Russe. Sein Vater stammte aus Moskau und seine Mutter aus Tschetschenien. Er hat sein Studium an der Moskauer Universität absolviert und spricht mehrere Sprachen fließend, unter anderem Englisch und Arabisch. Unmittelbar nach seinem Universitätsabschluss ging er zum KGB und arbeitete vier Jahre als Geheimagent. Davon lehrte er zwei Jahre als Dozent an der Patrice- Lumumba-Universität und spezialisierte sich auf die Ausbildung arabischer KGB-Studenten. Gorev war ruhelos und suchte immer neue Betätigungsfelder. Er verließ das KGB und ging später zur Armee, wo er als Offizier des achtundvierzigsten Fallschirmjäger-Bataillons eingesetzt war. Dank seiner Fähigkeiten brachte er es bis zum Hauptmann und versah seinen Dienst in Osteuropa, Afghanistan und Tschetschenien.«
»Das wird ja immer spannender. Was wissen Sie sonst noch über ihn?«
»Er ist der einzige Sohn des vor vielen Jahren verstorbenen Generals Yuri Gorev. Sie werden sicher von ihm gehört haben.«
»Sie meinen den General Yuri Gorev?«
»Exakt.«
»Der dürfte kaum einem russischen Bürger unbekannt sein.
Ein couragierter Armeeheld der ehemaligen Sowjetunion. Ein hochkarätiger Offizier, der jedem Respekt einflößte, der mit ihm zusammengearbeitet hat.« Kuzmin schüttelte ungläubig den Kopf. »Dann ist dieser Mann also der Sohn des Generals.«
»Und er scheint aus demselben Holz geschnitzt zu sein«, fuhr Verbatin fort. »In Afghanistan bewies Nikolai Gorev ungewöhnliche Tapferkeit und bekam mindestens ein halbes Dutzend Tapferkeitsmedaillen verliehen. Diese Karriere nahm mit dem Markow-Vorfall ein jähes Ende. Als Gorev 1994 in Tschetschenien eingesetzt war, erschoss er seinen befehlshabenden Offizier. Das war der Beginn der Wende.«
»Ja, ich bin über den Markow-Vorfall genau im Bilde«, sagte Kuzmin unangenehm berührt, als handele es sich um ein heißes Eisen, über das er nic ht sprechen wolle. »So eine Tragödie.
Fahren Sie bitte fort.«
»Gorev wurde verhaftet und bis zum Prozess in ein Hochsicherheitsstraflager in Sibirien eingewiesen. Als er erfuhr, dass er wegen Mordes an einem Offizierskameraden angeklagt wurde, schien er vo llkommen durchzudrehen. Eine Woche später brach Gorev aus dem Straflager aus. Die Soldaten durchkämmten das ganze Gebiet, aber er war wie vom Erdboden verschluckt und blieb flüchtig.«
»Er soll mitten im Winter aus einem
Hochsicherheitsgefängnis in Sibirien ausgebrochen sein? Diese Lager liegen am Ende der Welt in einer unvorstellbar öden Gegend. Es ist unmöglich, dort auszubrechen.«
»Gorev ist kein normaler Mann, Sir. Er brach nicht nur aus, sondern baute sich eine neue Karriere auf, und diesmal für die tschetschenische Sache. Wie ich bereits sagte, war seine Mutter Tschetschenin, und der Markow-Vorfall spornte ihn offenbar an, zu den Tschetschenen überzuwechseln. Mindestens ein Dutzend Attentate und Bombenanschläge, die in den letzten drei Jahren im Namen der tschetschenischen Sache verübt wurden, gehen auf sein Konto. Hinzu kommen der Mord an einem Moskauer Geschäftsmann, das Attentat auf einen russischen Offizier und die Ermordung eines Regierungsbeamten aus Grosny…« Der Direktor des Sicherheitsdienstes zog ein Blatt aus seiner Aktentasche und reichte es dem Präsidenten. »Das ist eine Liste der Verbrechen, in die er
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