Meade Glenn
jemand durch das Tor kommt.«
»Klar. Wie lange brauchen sie noch?«
»Sie sind fast fertig.«
»Kannst du mir einen Stift borgen?«
»Leihst du dir immer noch Stifte aus? Reporter sollten eigentlich welche dabeihaben, weißt du.«
»Ich verliere sie immer. Muß an den Löchern in den Taschen liegen.« Hernandez lächelte ein wenig verlegen.
Sanchez nahm einen Stift aus der Tasche und reichte ihn dem Journalisten. »Das war schon vor zehn Jahren so, als du noch Gerichtsreporter warst. Wie viele Kulis schuldest du mir inzwischen wohl? Die Löcher, die hast du in deinem Kopf, mein Freund.«
Sanchez drehte sich um. »Komm rein. Wenn die Männer fertig sind, kannst du dich umsehen.« Sanchez’ Stimme hatte einen ungewohnten, begeisterten Unterton, als er die Zigarette mit dem Absatz ausdrückte. »Du solltest dir das Haus ansehen.
Dieser alte Knabe muß im Geld geschwommen haben.«
»Was du nicht sagst …« meinte Hernandez und folgte Sanchez ins Innere.
Hernandez sah sich staunend und verblüfft im Haus um, heuchelte allerdings mehr Überraschung, als er tatsächlich empfand. Genau so sollte ein reicher Mann wie Tscharkin leben
– genau so hatte Rudi es sich immer vorgestellt.
Im Flur ein Kristalleuchter und eine geschwungene Freitreppe, im Eßzimmer silberne Kerzenständer und handgeschnitzte Stühle aus massiver Eiche. Die Küche war größer als Hernandez’ ganze Wohnung. Im Bad gab es einen Whirlpool und vergoldete Armaturen. Auf dem Rasen hinter dem Haus befand sich ein Tennisplatz.
Die Unterkünfte der Dienerschaft lagen neben dem Swimmingpool. Es gab vier Diener, laut Sanchez, und drei Gärtner. Sie waren alle gegangen, nachdem Sanchez’ Männer sie verhört hatten. Der Tod ihres Brötchengebers hatte sie aus der Fassung gebracht, und der alte Indio-Koch stand derartig unter Schock, daß er nicht einmal sprechen konnte.
Sanchez sparte sich das Arbeitszimmer im Erdgeschoß bis zum Schluß auf. Die Gerichtsmediziner packten gerade ihre Sachen zusammen, als er mit Hernandez im Schlepptau aus der Küche dorthin kam. Der Capitán nahm einen seiner Leute beiseite, um ungestört mit ihm zu reden. Danach kehrte er wieder zu Hernandez zurück, der ein Ölgemälde betrachtete, einen schlanken Jaguar im Dschungel. Das Gemälde trug keine Signatur, aber schlecht war es nicht. Von einem begabten Amateur, dachte Sanchez.
»Also?« fragte Hernandez.
»Selbstmord«, erklärte Sanchez. »Zweifelsfrei. Ein Problem weniger, um das ich mich kümmern muß. Der Leichnam wird gleich davongeschafft. Willst du Tscharkin vorher sehen?«
Hernandez nickte, und Sanchez ging voraus.
Die Tür zum Arbeitszimmer stand offen. Es war ein großer Raum, wie die anderen auch. Hernandez fiel zuerst ein Gemälde in einem vergoldeten Rahmen auf, das an Scharnieren zur Seite geschwungen wurde und einen Wandsafe verdeckt hatte. Dessen graue Stahltür stand offen. Auf den Regalen an drei Wänden waren Bücher aufgereiht, und das Fenster wies auf die kiesbestreute Auffahrt hinaus. Außerdem standen noch ein großer polierter Schreibtisch und ein brauner, teurer Ledersessel in dem Zimmer. Hernandez sah sich um, konnte den Leichnam jedoch nicht entdecken. Sein Blick glitt wieder zum Safe, als Sanchez zum Fenster deutete.
»Dort liegt er, hinter dem Schreibtisch.«
Hernandez trat an den großen Schreibtisch und reckte sich ein bißchen. Zuerst entdeckte er die Beine des Mannes und dann die geronnenen Blutflecken auf dem grauen Teppich. Graugelbe Hirnmasse klebte an den Wänden und Vorhängen und sprenkelte den Boden. Der Kopf des Mannes war mit einem blutigen weißen Taschentuch zugedeckt. Hernandez unterdrückte das Ekelgefühl und kniete sich hin, um den Toten genauer zu untersuchen.
»He!«
Er drehte sich um. Sanchez stand neben ihm und zündete sich eine weitere Zigarette an.
»Darf ich ihn mir ansehen?« fragte Hernandez.
»Kein angenehmer Anblick. Er hat sich durch den Mund geschossen.«
Hernandez nickte und wandte sich wieder dem Leichnam zu.
Das Taschentuch war klebrig von dem geronnenen Blut. Als er es wegzog, fühlte er, wie sich eine Kruste geronnenen Blutes vom Gesicht des Toten löste. Hernandez unterdrückte mit Mühe den aufsteigenden Brechreiz. Die Schädeldecke des Toten war weggesprengt, dort befand sich nun ein Loch in der Größe einer Faust. Überall klebte Hirnmasse, und breite Rinnsale angedickten Blutes quollen dem alten Mann über Kinn und Hals.
Oberhalb des Mundes ließ sich das Gesicht kaum noch
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