Meade Glenn
erkennen. Der zerschmetterte Kiefer war zu einer letzten, verzerrten Grimasse verzogen, als hätte Tscharkin unmittelbar vor dem Abfeuern der Waffe noch Furcht empfunden. Das Projektil hatte den Gaumen durchdrungen und die Schädeldecke zerschmettert. Die runzlige Hand des Alten ragte gekrümmt in die Luft, wie zu einem letzten, makabren Lebewohl.
Hernandez ließ das blutige Taschentuch wieder zurückfallen und stand auf. Dann sah er die Waffe. Sie lag groß, furchteinflößend und bläulich schimmernd etwa einen Meter von ihm entfernt auf dem grauen Teppich.
Sanchez warf ihm einen Blick zu. »Geht’s dir gut?«
Hernandez schluckte. »Sicher.«
»Es muß schnell gegangen sein. Schmerzlos. Nicht die schlechteste Art, diese Welt zu verlassen, mein Freund.«
»Laut Aussagen der Diener war er nicht verheiratet.«
»Was hat er gemacht?«
Sanchez setzte sich in einen bequemen Ledersessel neben dem Couchtisch. »Er war ein Geschäftsmann, der sich zur Ruhe gesetzt hatte. Anscheinend hat er früher einmal einige Firmen in Paraguay besessen. Vorwiegend Im- und Export.«
»War er ein Immigrant?«
»Mit einem Namen wie Tscharkin ist es ja wohl eher unwahrscheinlich, daß er ein Maca-Indio war, oder?«
Hernandez kritzelte Einzelheiten in sein Notizbuch. »Wie alt?«
»Ende Siebzig. Genau kann ich das nicht sagen.« Sanchez zog an seiner Zigarette und hustete wieder. »Er hat ein langes Leben hinter sich. Hoffentlich hab’ ich genausoviel Glück.«
»Du sagtest was von einer Krankheit?«
Sanchez schnippte die Asche von seiner Zigarette in einen Kristallaschenbecher. »Einer der Diener erklärte, Tscharkin sei in den letzten sechs Monaten häufig ins Krankenhaus gegangen.
Außerdem hatte er heute morgen einen Termin in einem Privatkrankenhaus. Er war ziemlich krank. Krebs, sagte der Diener. Er hatte abgenommen und sah längst nicht mehr so blühend aus.« Sanchez warf einen Blick auf den Leichnam.
»Na ja, jetzt sieht er noch viel schlimmer aus.«
»Woher wußte der Diener, daß sein Brötchengeber Krebs hatte?«
»Er hat einen Bericht gelesen, den der alte Mann irgendwo hat rumliegen lassen. Ich habe einen meiner Leute ins Krankenhaus geschickt, das er aufgesucht hatte. Das San Ignatio.«
Hernandez warf einen Blick auf den Toten und spürte das Ekelgefühl wieder hochsteigen. Dann machte er ein paar Schritte in Richtung des offenen Wandsafes.
»Ist da was drin?«
Sanchez schüttelte den Kopf. »Nichts.« Er deutete mit seiner Zigarette auf den Kamin. »Aber da drin ist ein großer Haufen Asche. Sieht aus, als hätte er viele Unterlagen verbrannt.«
Hernandez trat an den Kamin. Er hatte gehofft, etwas zu finden, irgend etwas, aber der alte Mann schien es darauf angelegt zu haben, seine Geheimnisse mit ins Grab zu nehmen.
»Kein einziger Schnipsel Papier ist übrig. Nichts als Asche.«
Sanchez starrte nachdenklich auf den Kaminrost. »Ich frage mich, was der alte Mann wohl so dringend verbrennen mußte?«
»Na, ich auch«, pflichtete Hernandez ihm bei.
Sanchez schaute auf, musterte ihn abschätzend und wandte schließlich den Blick ab. »Was soll’s – es ist alles vorbei. Der Fall ist abgeschlossen.«
»Hast du schon vorher mal was von Tscharkin gehört?«
Hernandez sah wieder auf den Leichnam, kritzelte einige bedeutungslose Notizen in sein Buch und versuchte, nicht zu interessiert zu klingen.
»Nein. Warum fragst du?«
Hernandez zuckte mit den Schultern. »Ein wohlhabender Mann … Ich dachte einfach, du hättest vielleicht schon mal von ihm gehört.«
»Noch nie. Und du?«
Hernandez drehte sich um und sah, daß Sanchez ihn aufmerksam beobachtete. »Nein, noch nie.«
Ob Sanchez ihm glaubte? Wahrscheinlich nicht, aber er hatte sich Mühe gegeben, aufrichtig zu klingen. Er lächelte.
»Schließlich ist Asunción ein Platz voller Geheimnisse, mein Freund, voller anonymer reicher Leute.«
Sanchez betrachtete ihn einige Sekunden. Der Blick seiner halb geschlossenen, undurchdringlichen Augen war aufmerksam, forschend. Er fragt sich, ob ich ihm die Wahrheit erzähle, dachte Hernandez. Sanchez entging nichts.
»Da magst du recht haben«, erwiderte der dicke Capitán schließlich. Er sah zur Seite und stemmte sich mühsam aus dem Sessel hoch. Dann zog er wieder das Taschentuch heraus und tupfte sich die Stirn ab. »Diese Hitze bringt mich um. Willst du ein Bier? Der Kühlschrank ist voll. Importware. Deutsches Bier, holländisches Bier, was du willst.«
»Na klar. Ein Bier wäre jetzt genau das
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