Meade Glenn
richtige.«
Sanchez wandte sich ab. »Ich bin in fünf Minuten wieder da.
Rühr nichts an.«
Hernandez nickte. Der dicke Kriminalpolizist ging zur Tür und verschwand.
Hernandez blieb mitten im Arbeitszimmer stehen und dachte krampfhaft nach. Sein Blick glitt von dem blutigen Leichnam auf dem Boden zu dem offenen Wandsafe und dann zum Kamin.
Warum? Warum hatte der alte Mann sich umgebracht? War es tatsächlich die Krankheit? Oder wegen der Leute, von denen Rodriguez ihm, Hernandez, erzählt hatte? Vielleicht hatte man den Alten auch ermordet und es nur als Suizid kaschiert.
Der Journalist ging zu dem großen, rußgeschwärzten Kamin, blieb davor stehen und starrte auf das Rost. Behutsam nahm er einen Schürhaken von dem Gestell daneben und stocherte in der Asche herum. Sanchez hatte recht gehabt: Nicht ein Schnipsel Papier war übrig. Nur Ruß und Asche. Was waren das für Unterlagen gewesen?
Er hängte den Schürhaken zurück und trat schnell an den offenen Safe. Er bemühte sich, leise aufzutreten und horchte gleichzeitig, ob Sanchez wiederkam. Ein flüchtiger Blick genügte: Wie Sanchez gesagt hatte, war der Safe leer.
Hernandez trat hinter den Schreibtisch und bemühte sich geflissentlich, den Toten zu seinen Füßen nicht anzusehen.
Die Unterlage und die polierte Oberfläche des Schreibtisches waren mit Blutspritzern übersät. Es waren dicke, geronnene Blutflecken, zwischen denen einzelne Stückchen graugelber Hirnmasse schimmerten. Hernandez verspürte wieder den Ekel.
Er schluckte und wischte sich mit dem Hemdsärmel den Schweiß von der Stirn.
Auf der linken Seite des Schreibtisches befanden sich drei Schubladen. Er probierte erst die oberste Schublade. Sie war unverschlossen und glitt lautlos auf. Drinnen lagen eine Schere, ein Brieföffner aus Quebraco-Holz, wie sie von den Maca-Indios hergestellt und auf den Straßen verkauft wurden, und einige schlichte, weiße Bogen Papier.
Hernandez blätterte sie kurz durch. Sie waren alle unbeschrieben. Er schob die Schublade wieder zu und versuchte die nächste: Leer und offensichtlich unbenutzt. Der Duft des Apfelholzes stach dem Journalisten in die Nase. Er schloß die Schublade und zog die letzte auf. Hier lagen noch mehr Bogen Papier, die Banderole noch ungeöffnet, Gummibänder und eine Schachtel mit Büroklammern. Hernandez schloß die letzte Schublade und betrachtete das getrocknete Blut, das scheinbar überall war, musterte den steifen Leichnam mit der gehobenen Hand, die ihren makabren Gruß winkte. Leben Sie wohl, Señor Tscharkin.
Ein Schweißtropfen von seiner Stirn fiel auf das polierte Holz.
Er wischte sich die Stirn ab und lauschte auf Sanchez’ Schritte.
Jedoch war nichts zu hören außer seinem eigenen schweren Atmen.
Der alte Mann war vorsichtig gewesen. Sehr vorsichtig.
Vielleicht hatte er ja irgendwo anders weitere Informationen aufbewahrt. Etwas, das Hernandez einen Fingerzeig lieferte, eine Tür öffnete, damit er endlich wußte, worum es überhaupt ging. Später würde er nie mehr so einfach Zugang zu diesem Arbeitszimmer erhalten, vielleicht überhaupt keinen mehr. Das hier war seine einzige Chance. Er trat an die Bücherregale.
Da standen dicke Wälzer über die Geschichte Paraguays, die Chaco-Kriege, eine Lopez-Biographie, aber auch Bücher über Gärtnerei, über Firmen- und Wirtschaftsrecht, schwere Bände über Import- und Exportbestimmungen. Außerdem eine wunderschöne, ledergebundene, zweibändige Ausgabe von Vasquales’ Werk über paraguayische Geschichte und Kultur.
Der Rest waren teure, gebundene Ausgaben von Romanen.
Hernandez zog willkürlich einen Band heraus. Ein Roman in spanischer Sprache, offenkundig ungelesen. Er stellte das Buch zurück und nahm ein anderes heraus, dann immer mehr. Mit demselben Ergebnis: Keines davon hatte Eselsohren, und alle rochen noch ganz neu. Der Alte war wohl kein besonders leidenschaftlicher Leser gewesen. Abgesehen von der Fachliteratur über Wirtschaftsfragen bildeten diese Bücher nur eine Kulisse. Sie gehörten zu dem Image, das der Wohlstand mit sich bringt.
Als er das Buch, das er gerade in der Hand hielt, zurückstellte, klingelte das Telefon.
Hernandez erstarrte, und ihm blieb fast das Herz stehen. Das schrille Geräusch tönte in dem stillen Arbeitszimmer besonders laut. Es klingelte mehrmals, während Hernandez lauschte, wartete, daß Sanchez wieder zurückkam. Aber nichts passierte, nur das Telefon klingelte unaufhörlich. Er trat schnell an den Schreibtisch und
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