Meade Glenn
sollten. Aber das Dritte Reich haut mich einfach um. Und Sie, Joe, was ist mit Ihnen?«
»Das kann ich von mir nicht gerade behaupten.«
Das Mädchen ging hinaus, und Volkmann strich mit der Hand über den Walnußschreibtisch.
Erdberg sah ihn an. »Wissen Sie, wem der gehört hat?«
»Nein.«
»Ernst Kaltenbrunner. Die Nummer zwei in der SS, nachdem Heydrich vom Widerstand in der Tschechoslowakei kaltgemacht worden ist. Kaltenbrunner. Einer der schlimmsten, verfluchten Wahnsinnigen in der SS. Er hat an diesem Schreibtisch gesessen, sich den Verstand weggesoffen und Todesurteile unterzeichnet. Gegen Juden und Widerstandskämpfer und gegen alle anderen, die ihm gerade einfielen.« Erdberg trat dichter an den Schreibtisch, lächelte und fuhr mit der Hand über das polierte Holz, als wäre es die Haut einer Frau.
»Irgendwie unheimlich, finden Sie nicht?«
»Kennen Sie sich mit der Leibstandarte Adolf Hitler aus?«
»So gut wie mit meinem eigenen Hintern. Die Crème de la Crème der SS. 1933 als ›SS-Stabswache Berlin‹ von dem Erz-Nazi Sepp Dietrich gegründet. Hitlers Leibwache. Ursprünglich bestand sie aus einhundertzwanzig handverlesenen Männern, wurde aber später auf Divisionsstärke erweitert. Jeder Mann mußte einen Blutschwur auf Adolf Hitler leisten. Die ›LAH‹
diente 1939 als motorisierte Division in Polen. Feldzüge in Griechenland und Rußland, von ’41 bis ’44. War als Erste SS-Panzerdivision verantwortlich für das Massaker von Malmedy 1944 in Belgien und zahllosen anderen in Rußland. Wenn ich anfangen würde, Ihnen die aufzuzählen, säßen wir die ganze verdammte Nacht noch hier. Sie war die letzte Division, die ’45
in Ungarn und Österreich noch gekämpft hat. Wollen Sie noch mehr wissen? Ich rede mich gerade erst warm. Sind Sie deshalb hier, wegen der Leibstandarte?«
»Kennen Sie die Leute, die dort an der Spitze standen?«
»Ich denke schon.«
»Und deren Ehefrauen, Freundinnen und Mätressen?«
»Einige davon, warum?«
Volkmann holte das angesengte Foto der blonden jungen Frau aus der Tasche und reichte es dem Mann.
»Erkennen Sie diese Frau, Cole?«
Erdberg musterte das Foto. Er zögerte, nahm seine Brille ab und holte ein Vergrößerungsglas aus einer Schublade eines Tisches nebenan. Mit dessen Hilfe musterte er das Foto gründlich. Nach einer Weile sah er hoch.
»Wer war sie?«
»Genau das will ich wissen. Ich hatte gehofft, Sie könnten mir helfen.«
Erdberg schüttelte den Kopf. »Sie kommt mir nicht bekannt vor.«
»Sind Sie sicher?«
»Absolut sicher.«
»Das Naziarmband auf dem Foto … Ist daran etwas Besonderes?«
Erdberg untersuchte das Foto erneut und blickte hoch.
»Nein, das ist eine ganz normale Hakenkreuzbinde. Warum?«
»Und der Uniformärmel?«
Erdberg sah wieder auf das Foto und zuckte mit den Schultern.
»Schwer zu sagen. Das Bild ist ziemlich körnig. Und es ist nicht genug darauf zu sehen.«
»Leibstandarte-SS?«
»Sicher, die haben so was am linken Ärmel getragen. Aber andere SS-Leute und Nazis auch. Bei der Leibstandarte trug man noch ein Abzeichen in Silber und Grau auf dem linken Ärmel, auf dem ›Adolf Hitler‹ stand. Daran kann man sie erkennen. Der Besitzer dieses Armes hier könnte trotzdem zur SS gehört haben, nur müßte ich mehr von der Uniform sehen, um eine eindeutige Antwort auf diese Frage zu geben.« Erdberg lächelte. »Aber das ist wohl nicht möglich?«
Als Volkmann den Kopf schüttelte, wedelte Erdberg mit dem Foto. »Und woher haben Sie das eigentlich?«
»Aus Südamerika.«
Erdberg grinste. »Und was steckt dahinter? Jagen Sie einen alten Nazi? Hätte nicht gedacht, daß noch welche von den alten Jungs leben, die der Mühe wert sind.«
Volkmann schüttelte den Kopf. »Nein. Ich versuche, einen Mann aufzuspüren, dessen Vater vor dem Krieg nach Paraguay emigriert ist. Das Foto könnte ein Anhaltspunkt sein.«
»In welchem Jahr denn?«
»1931.«
Der Amerikaner runzelte die Stirn. »Und was hat dann die Leibstandarte damit zu tun?«
»Der Vater des Mannes war ein SA-Braunhemd. Ted Birken hat mir erzählt, daß manche Braunhemden später in die Leibstandarte übernommen worden sind.«
»Das stimmt.« Erdberg dachte kurz nach und zuckte dann mit den Schultern. »Tut mir leid, aber da kann ich Ihnen nicht weiterhelfen.«
»Kennen Sie jemanden, der das könnte?«
»Mit dem Foto? Tja, das könnte jeder sein.« Erdberg zuckte erneut mit den Schultern. »Wenn Sie glauben, daß sie die Frau oder Freundin eines
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