Meade Glenn
nur und reichte ihr sein Erste-Klasse-Ticket.
Sie tippte die Daten in ihren Computer ein. Von Stockholm nach Amsterdam, dann mit dem Anschlußflug nach Berlin. Als sie den Koffer des Mannes auf die Waage hob, warf sie ihm erneut ein Lächeln zu, das er schüchtern erwiderte. Wie schade, daß er ihre langen Beine hinter dem Tresen nicht sehen konnte.
Vielleicht hätte sie eine Verabredung herausschlagen können.
Sie gab den Rest ein und reichte dem Mann sein Ticket und die Bordkarte zurück, wobei sie sich den Namen merkte. Doch als der Reisende sein Ticket vom Tresen nahm, fielen ihr seine Hände auf. Es waren kräftige Hände, aber sie waren mit einem ganzen Netz aus rosa Narben überzogen, die ihr einen Schauer über den Rücken jagten. Die Anziehung war mit einem Schlag verflogen.
»Sie können sofort an Bord gehen, Herr Kemal.«
»Danke.«
Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Reisen Sie geschäftlich oder zum Vergnügen, Herr Kemal?«
»Geschäftlich.«
»Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Flug.«
Der Mann drehte sich um, ohne zu lächeln, und ging weiter in die Abflughalle.
47. KAPITEL
Genua.
Donnerstag, 22. Dezember.
23.57 Uhr.
»Franco?«
Die Stimme kam aus der Dunkelheit hinter ihm.
Franco Scali wälzte sich schlaftrunken herum. »Was …«
murmelte er.
Jemand stieß ihm unsanft einen Finger in den Rücken.
»Franco, da ist jemand an der Tür.«
Franco schlug die Augen auf. Es war stockfinster im Schlafzimmer.
»Wie spät ist es denn?« knurrte er seine Frau gereizt an.
»Mitternacht.«
Franco stöhnte, als er das gedämpfte Klingeln an der Tür hörte. Er blinzelte und schaute aus dem Schlafzimmerfenster.
Die Vorhänge waren noch zugezogen, aber durch einen Spalt sah er den blauschwarzen Himmel dahinter. Er und Rosa waren früh zu Bett gegangen, nachdem sie tagsüber Weihnachtseinkäufe in der Loggia del Mercanti erledigt hatten. Die Kinder waren für diese Nacht bei den Großeltern untergebracht, während er und seine Frau die Weihnachtsgeschenke einpackten. Anschließend hatten sie zu Abend gegessen und waren völlig erschöpft ins Bett gefallen. Jetzt rüttelte Rosa ihn heftig an der Schulter.
»Franco?«
»Ja, ich hab’s gehört, Weib!«
Wütend schlug er die Laken zurück und wuchtete sich aus dem warmen Bett. Im Raum war es kühl. Er schaltete die Nachttischlampe an, und das grelle Licht blendete ihn. Er drehte sich um und hörte, wie Rosa sich stöhnend das Plumeau über den Kopf zog. Franco sah einen kurzen Moment ihre fleischigen, blassen Beine, während die Klingel unten Sturm läutete – kleine, drängende Salven.
»Wer kann das denn um diese Stunde sein?« knurrte Franco gereizt.
»Ich glaube, es ist Aldo Celli. Als ich die Klingel gehört habe, bin ich aufgestanden und ans Fenster gegangen. Ich meine, ich habe unten seinen Wagen gesehen.«
»Und warum hast du nicht aufgemacht?« Franco stöhnte.
»Vielleicht ist er es ja gar nicht«, erwiderte seine Frau ebenfalls gereizt. »Ich habe nur gesagt, ich glaube, daß er’s ist.
Genau weiß ich das auch nicht.« Sie stöhnte, drehte sich wieder um und zog das Laken mit.
Franco seufzte. Faules Miststück! dachte er.
Aldo. Aldo, der Falke. Der Kranführer am Hafen. Was konnte der um diese Zeit hier wollen, zum Teufel? Franco zog seinen Morgenmantel an und ging hinunter. Als er die Haustür aufgeschlossen und geöffnet hatte, sah er im Licht der Lampe den großen Aldo vor der Tür stehen. Der Falke hatte den Jackenkragen hochgeschlagen, um sich gegen die Kälte zu schützen. Franco schauderte es, als ein Windstoß eiskalte Luft durch die offene Tür wehte.
»Was soll das, Aldo? Weißt du, wie spät es ist?«
»Kann ich reinkommen, Franco?«
Franco zögerte, seufzte und ließ den Mann ins Wohnzimmer.
Er schaltete erst das Licht an und schob Aldo dann einen Stuhl hin.
»Was willst du?« fragte Franco.
Auf Aldos breitem, fleischigem Gesicht zeichnete sich Besorgnis ab. »Einer der Brummer hat heute abend einen Container reingebracht, gegen zwanzig Uhr. Il Peste hatte Spätschicht. Nachdem ich den Container abgesetzt habe, ist Il Peste angekommen und hat sich die Nummer angesehen. Dann mußten wir den Container aufmachen, und er hat drin rumgeschnüffelt. Dabei hat er sogar den ›Tupfer‹ benutzt.«
»Ach ja?«
Aldo sah Franco unsicher an. »Ich hab’ ihn gefragt, was los wär’. Er meinte, es wäre derselbe Container, der vor zwölf Tagen aus Südamerika angekommen ist. Der, den er noch mal überprüfen
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