Meade Glenn
gesagt hat: durch diesen Skandal hätte er vielleicht sogar die NSDAP mit sich in den Abgrund gezogen. Also haben er oder seine engsten Vertrauten einen Plan ausgeheckt. Sie haben das Kind fortgeschickt, irgendwohin, weit weg von Deutschland, und jemandem in Obhut gegeben, dem Hitler bedingungslos vertrauen konnte. Ein Pärchen wie die Schmeltzens schickte ihm der Himmel. Erhard Schmeltz war ein treuer, loyaler Nationalsozialist und enger Freund Hitlers. Und der Ort, wohin sie mit dem Kind emigriert sind, hätte kaum abgelegener sein können: ein Schulungsgebiet in Paraguay. Also war das Geheimnis sicher.«
Er erwiderte Erikas Blick. Sie war noch blasser geworden.
»Dieses Szenario würde gleich drei Punkte erklären, Erika«, fuhr er fort, »drei entscheidende Punkte. Erstens: die Geldsumme, die Erhard Schmeltz bei sich hatte, als er in Paraguay angekommen ist. Zweitens: die Tatsache, daß er unmittelbar vor Hitlers Wahlkampagne emigriert ist; und drittens: die Überweisungen, die von der Reichsbank bis 1945 nach Paraguay geschickt worden sind. Jemand ganz oben in der Hierarchie mußte Zahlungen dieser Höhe genehmigen. Und nur jemand ganz oben hätte genug Macht gehabt, diese Zahlungen geheimzuhalten und durchführen zu lassen, ohne daß ein Beleg darüber existierte.
Wenn wir Walter Busch glauben wollen, dann war Erhard Schmeltz kein reicher Mann. Ein Mann, der bei der NSDAP in Ungnade gefallen worden wäre, hätte kein Geld von der Reichsbank bekommen. Und hätte auch seine Mitgliedschaft nicht in absentia weiterlaufen lassen. Erpressung kommt auch nicht in Frage, denn dann hätte Schmeltz das Kind nicht bei sich gehabt.« Volkmann sah Erika eindringlich an. »Bleibt noch offen, ob Schmeltz das Geld für jemand anderen gehortet hat.
Das glaube ich nicht. Das Geld ist ihm über die Reichsbank geschickt worden, und niemand, der irgendwo ein geheimes Konto anlegen wollte, hätte das über die Reichsbank abgewickelt, sondern eine Schweizer Bank dazu benutzt. Nur Hitler oder ein sehr hochrangiges Parteimitglied hätte die Autorität gehabt, sich der Reichsbank zu bedienen. Damit bleibt eigentlich nur noch die Möglichkeit übrig: das Geld wurde geschickt, um Schmeltz, seine Schwester und den Jungen zu unterstützen. Geli Raubals und Hitlers Sohn.
Allein die Tatsache, daß wir dieses Foto im Haus im Chaco gefunden haben, bestätigt die Verbindung zwischen Erhard Schmeltz und Geli Raubal. Und du hast gehört, was Johanna Richter über die Beziehung zwischen dem Mädchen und Hitler gesagt hat: Wenn sie eine Affäre mit ihm hatte, konnte sie auch ein Kind mit ihm haben.«
Erika schüttelte den Kopf. »Wenn das stimmt, was du sagst, warum hat Hitler sie dann nicht einfach gezwungen abzutreiben?«
»Vielleicht hat das Mädchen ihm nichts gesagt, bis es zu spät war. Vielleicht wollte sie das Kind bekommen und schwieg, bis es für diese Lösung zu spät war. Wenn das Mädchen Selbstmord begangen haben sollte, muß sie aus irgendeinem Grund sehr verzweifelt gewesen sein. Etwas hat sie emotional zutiefst aufgewühlt. Vielleicht hat sie nach der Geburt Depressionen bekommen. Und wenn Hitler sich geweigert hat, sie zu heiraten oder das Kind anzuerkennen, und die Affäre aus der Welt schaffen wollte, indem er den Jungen fortschickte, dann könnte das Geli den Rest gegeben haben.«
»Aber es müssen doch noch mehr Personen davon gewußt haben«, wandte Erika ein. »Menschen, mit denen sie darüber geredet hat. Es kann doch nicht all die Jahre ein Geheimnis geblieben sein! Das ist einfach unvorstellbar.«
»Geli Raubal war Medizinstudentin, Erika. Sie könnte Unterstützung von Freunden oder Kommilitonen bekommen haben, von Leuten, die ihr Geheimnis wahrten und ihr Geburtshilfe geleistet haben. Wäre das nicht möglich? Und erinnerst du dich an das, was Johanna Richter über den Journalisten gesagt hat, der nach Dachau verschleppt wurde?
Wenn er nun die Wahrheit geschrieben hätte? Wenn man Geli Raubal tatsächlich deswegen getötet hat?«
Erika sah ihn lange an und schüttelte dann den Kopf. »Joe, mir gibt es dabei einfach zu viele ›Wenns‹. Ich muß zugeben, daß dein ›Szenario‹ im Grunde einen gewissen Sinn ergibt. Aber etwas in mir sträubt sich dagegen. Die Geschichte ist einfach zu
… zu bizarr.«
Volkmann sah sie eindringlich an. »Dann erklär mir eins: Warum haben die Nazis den Friedhof in Wien dort verwüsten lassen, wo das Mädchen begraben lag? Warum wollten sie ausgerechnet Geli Raubals Grab
Weitere Kostenlose Bücher