Meade Glenn
vernichten? Nur ein einziger Grund ist denkbar: das Geheimnis dort sollte für alle Zeiten begraben bleiben – Geli Raubals Geheimnis. Eine Obduktion hätte ergeben, daß das Mädchen entbunden hat. Durch die Vernichtung des Grabes beseitigte man sämtliche Beweise.«
Erikas Blick war ins Leere gerichtet, als hätte sie aufgegeben, Volkmann zu widersprechen. Er hörte sich selbst stoßartig atmen, ihm war schwindlig von seinen eigenen Worten. Abrupt richtete Erika die Augen auf ihn.
»Dann beantworte mir eine Frage, Joe. Warum hat, wer auch immer die Affäre geheimhalten wollte, nicht einfach Geli Raubals Leichnam beseitigt? Warum wurden die Beweise nicht auf diese Art aus der Welt geschafft?«
»Vielleicht ist genau das geschehen?«
»Wie? Was willst du damit …«
»Möglicherweise hat man sich folgendes überlegt: Wenn man den Leichnam des Mädchens aus dem Grab holt und die Gräber ringsum verwüstet, dann wäre es hinterher völlig unmöglich, festzustellen, ob Geli Raubals Leiche entfernt worden ist oder nicht, denn es wäre nur ein Gewirr unidentifizierbarer Knochen übrig geblieben. Keine sich etwa anschließende gerichtsmedizinische Untersuchung hätte noch irgendwelche Zuordnungen treffen können.«
Seine Stirn war schweißnaß. »Nimm all das zusammen und bring es mit der Gegenwart in Verbindung – zu all dem, was passiert ist. Zu Rudis Tod, zu den anderen Toten. Warum sollte man ein Haus mitten im entlegensten Dschungel so ratzekahl leerräumen? Warum waren die Unbekannten so fanatisch auf Sicherheit bedacht? Was hatten sie wirklich in diesem Haus im Chaco verborgen, Erika? Hier ging es nicht um eine kleine Schmugglerbande und auch nicht um die Verbindung zwischen Rodriguez’ und Rudis Tod, sondern um etwas viel Größeres. Es geht nicht nur um die Gegenwart, sondern auch um die Vergangenheit. Du selbst hast etwas in diesem Haus im Chaco gespürt, erinnerst du dich? Wir alle haben es gespürt.«
»Joe …« Das Mädchen wollte etwas sagen, aber sie brach ab.
Er betrachtete forschend ihr angespanntes Gesicht und ihre fest zusammengepreßten Lippen, sie aber wandte rasch den Blick ab.
Sie wirkte verzweifelt, als hätte sie vergeblich versucht, ihn zu überzeugen, und wäre gescheitert.
Natürlich mußte das, was er sich da zusammenreimte, irreal sein, trotzdem aber enthielt die Gedankenkette auf merkwürdige Weise den Anschein von Wahrheit, und Volkmann schüttelte sich heftig bei dem Gedanken. Seine Stimme klang belegt, als er fortfuhr: »Nach alldem kann Karl Schmeltz’ Existenz nur durch eine Schlußfolgerung erklärt werden, Erika: Karl Schmeltz ist Adolf Hitlers Sohn!«
Aus Erikas Gesicht war alle Farbe gewichen, und gequält blickte sie Volkmann an, als versuchte sie, sich zu einer Entschuldigung durchzuringen.
Lange Zeit sprach keiner von beiden ein Wort, und als würden sie ein Eigenleben führen, hingen Volkmanns Worte weiterhin im Raum. Dann hörte er, wie Erika heiser und wie aus weiter Entfernung fragte: »Was wirst du jetzt unternehmen, Joe?«
Ihre Stimme klang völlig emotionslos, und er bedachte sie mit einem wachsamen Blick.
»Ich werde Ferguson und Peters berichten, und kann nur hoffen, daß sie mir glauben.«
»Rechnest du damit?«
»Wenn sie die Beweislage prüfen, werden sie zum gleichen Schluß kommen wie ich.«
»Und dann?« fragte sie leise.
»Will ich Karl Schmeltz finden. Denn er hat Anteil an allem, was hier vorgeht, Erika. Und an allem, was noch geschehen wird.«
Er hielt ihrem Blick stand. Als er jedoch mit ruhiger, entschlossener Stimme weitersprach, bemerkte er zum erstenmal eine Spur von Furcht in seiner eigenen Stimme.
»Die Stimmen auf Rudis Bandaufnahme sprechen von dem, was Busch mir über den Schwur im Führerbunker erzählt hat, Erika. Die Stimmen auf dem Band reden vom Brandenburger Testament. Was vor über sechzig Jahren in Deutschland passierte, als die Nazis die Macht ergriffen …«
Volkmann hielt inne und sah sie eindringlich an. »Ich befürchte, daß sich das alles noch einmal wiederholen wird.«
Stockholm.
23. Dezember.
6.15 Uhr.
Die junge Frau hinter dem SAS-Schalter vom Stockholmer Arlanda-Flughafen sah auf, als der dunkelhäutige junge Mann näher trat.
Über dem hellgrauen Armani-Anzug, der gut zu seinem dunklen Teint paßte, trug er einen teuren Kamelhaarmantel. Der Mann war gutaussehend und etwas über dreißig, besaß eine gute Figur, aber traurige Augen.
Das Mädchen lächelte. »Guten Morgen, mein Herr.«
Der Mann nickte
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