Meade Glenn
aber wie so viele andere Polizisten auch konnte er niemals Pläne für den Abend fassen. Er hatte seine Frau angerufen und ihr gesagt, daß es spät werden würde. Wie spät, das konnte er ihr nicht sagen, aber er ahnte, daß dieser Fall sich noch lange hinziehen würde.
Sanchez zwinkerte und rieb sich mit Daumen und Zeigefinger die Augen. Er kämpfte gegen die geradezu schmerzhafte Müdigkeit an. Er versuchte sich zu konzentrieren und das abgehörte Gespräch neu zu durchdenken, suchte nach Hinweisen, nach irgend etwas, das ihm zeigte, wo er weitermachen sollte.
»Wie lange dauert es, bis wir etwas über Tscharkins Vorleben bekommen?« wollte Volkmann wissen.
Sanchez blickte hoch. »Das Einwanderungsbüro öffnet nicht vor sieben Uhr. Dann können wir uns mit Tscharkins Vergangenheit befassen – wann und von wo er ins Land gekommen ist. Aber das ist eine langwierige und komplizierte Angelegenheit und wird vielleicht einige Tage in Anspruch nehmen. Ich will außerdem noch einmal Tscharkins Diener verhören lassen, sobald ich einen Mann dazu abstellen kann.
Geschäftspartner, Freunde, Leute, mit denen er gesellschaftlich verkehrt hat.«
Sanchez sah auf seine Uhr. Es war fast vier. Erneut kam ihm der Satz auf dem Band in den Sinn: » Wir verlassen Paraguay am Sechsten. «
Er stemmte sich mühsam vom Stuhl hoch und reckte die Arme. Die rauchige Luft im Büro brannte ihm in den Augen, aber er drückte die Zigarette aus und zündete sich sofort die nächste an.
Dann ging er zum Fenster und öffnete es noch etwas weiter.
Aber es kam keine kühle Luft herein. Draußen war es heiß und schwül, und die Palmenblätter hingen schlaff von den Bäumen.
Weiter die Straße herunter sah er ein Stück von der rosa Kuppel des Pantheons, des düsteren Monuments für die Männer, die in längst vergangenen Schlachten ums Leben gekommen waren.
Das Denkmal an der Plaza des Heroes war hell erleuchtet, und die Soldaten der Ehrenwache standen steif davor. Sie mußten genauso müde sein wie er.
Der Capitán seufzte und blies eine große Rauchwolke ab, während er schweigend die Straße hinunterstarrte und versuchte, sich zu konzentrieren. In einiger Entfernung hielt ein Taxi vor einem Hotel, und vier Passagiere stiegen aus. Es waren zwei mittelalte Männer und zwei junge Frauen. Er beobachtete, wie sie zum Eingang des Hotels gingen. Die Männer waren gut gekleidet, aber etwas unsicher auf den Beinen, und die Mädchen kicherten. Sie trugen bunte, dünne Kleider und hochhackige Schuhe.
Vermutlich Geschäftsleute auf Besuch, dachte Sanchez, die nach einer langen Nacht und einem Besuch eines Nachtclubs zurückkehren. Die Frauen sind garantiert Nutten. Sanchez kratze sich den Stoppelbart, während er zusah, wie das Taxi vom Bürgersteig wegfuhr. Als er sich nach einigen Minuten des Schweigens umdrehte, wurde er gewahr, daß Volkmann und die junge Frau ihn beobachtet hatten.
»Gibt es ein Problem?« fragte der Engländer.
Sanchez schüttelte langsam den Kopf. »Nein. Aber eine Frage.
In den Hotels, in denen Winter abgestiegen ist, hat er sich immer eine Suite gemietet. Sie haben diese Frage selbst schon gestellt: Warum muß eine einzelne Person eine Suite mieten?« Sanchez hielt inne. »Um jemanden zu beeindrucken? Einen Geschäftsfreund? Oder vielleicht auch eine Frau?« Sanchez schwieg kurz. »Eine Suite ist auch groß genug, um eine Konferenz abzuhalten, si? «
Er sah Volkmann und Erika Kranz fragend an.
»Außerdem wäre ein Hotel auch sehr geeignet für jemanden, der abhören möchte, was in einem anderen Zimmer geredet wird, hab’ ich recht?« Er senkte den Blick, nahm die Liste mit den Hotels aus der Akte und zuckte erschöpft mit den Schultern.
»Vielleicht ist das eine Untersuchung wert. Mehr fällt mir im Augenblick auch nicht ein.«
»Durchaus möglich«, gab Volkmann müde zu. »Aber welches Hotel? Asunción ist eine Großstadt.«
Sanchez warf einen kurzen Blick auf die Liste. »Das Hotel, in dem Winter am häufigsten übernachtet hat, ist das Excelsior.
Versuchen wir es dort zuerst. Und dann im Hotel Guarani.«
Der Portier bestand darauf, daß er erst den diensthabenden Direktor rufen müsse. Der Mann tauchte einige Minuten später auf. Er war groß und wirkte sehr gepflegt in dem dunklen Anzug, dem frischen weißen Hemd und der grauen Seidenkrawatte. Zudem sah er trotz der frühen Morgenstunde munter aus, frisch rasiert und sehr aufmerksam.
Sanchez wies sich dem Mann gegenüber aus und wiederholte seine
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