Meade Glenn
Außerdem hatte Franco Scali ganz andere Pläne.
Er riß seinen Blick von den schwarz bestrumpften Schenkeln des jungen Mädchens los. Sie wippte verführerisch mit einem langen Bein, das sie über das andere schlug, und begann, ihre roten Fingernägel zu polieren. Statt dessen musterte Franco die Maria Escobar, die langsam in den Hafen kroch. Jetzt brauchte er kein Fernglas mehr, denn das Schiff war nah, ganz nah. Es würde höchstens noch fünf Minuten dauern, bis es anlegte. Die ausgedehnte Altstadt von Genua lag links von ihm, und das Labyrinth ihrer engen Straßen und Gassen erstreckte sich in unregelmäßigen Stufen bis an die Ausläufer des Apennin.
Franco drehte sich zu dem Mädchen um. Sie verzog den sinnlichen Mund auffordernd. Franco zwinkerte ihr zu, stellte das Fernglas ab und ging zur Tür.
» Ciao, Süße! Ich hab’ zu arbeiten.«
Er stieg die Treppe hinunter ins Lagerhaus, wo reger Betrieb herrschte, und nahm die Unterlagen aus dem winzigen, mit einer Glasscheibe abgetrennten Büro am Eingang.
Ein eisiger Wind wehte vom Meer herüber. Er zog eine Öljacke an und überquerte das Vorfeld. Er sah zur Krankabine hinauf, wo Aldo Celli darauf wartete, den Greifer zu bedienen, winkte dem Mann zu und gab ihm mit den Daumen ein aufmunterndes Zeichen. Sekunden später hörte er, daß Aldo den Motor des Krans anließ. Man nannte ihn Aldo, den Falken, weil der Mann mit dem Greifer seines Krans auf die Frachtcontainer herunterstieß, als wären es Beutetiere.
Franco sah auf den Hafen hinauf. Die Maria Escobar wurde langsamer, lief rückwärts und drehte sich einen Hauch Steuerbord, damit sie mit dem Heck zuerst einlief. Die Männer an Deck und auf der Pier beeilten sich, sie zu vertäuen. Franco sah sich nach dem Zollbeamten um, konnte jedoch keine Spur von ihm entdecken. Aber er war da, ohne Frage.
Manchmal überprüfte der Zoll einfach nur die Plomben, manchmal brachen sie auch die Plombe des vorherigen Hafens und kontrollierten die großen Stahlbehälter, nur um ihre Autorität unter Beweis zu stellen. Aber bisher hatten sie Franco noch nie erwischt. Er war immer sehr vorsichtig, und in diesem Fall war das besonders wichtig. Von diesem Job würde er genug übrigbehalten, um ein neues Auto zu kaufen und sich mit den jungen Mädchen in einem der schicken Clubs auf der Piazza della Vittoria zu vergnügen, mit denen, die erst ab einer Million Lire überhaupt zuckten. Aber jede einzelne Lira lohnte sich.
Und er brauchte Geld. Alle brauchten heutzutage Geld, in diesen verrückten Zeiten. Selbst sein alter Herr hatte gesagt, es sei heute schlimmer als früher.
Franco leckte sich die trockenen Lippen. Die Fracht war gut versteckt, kein Grund zur Beunruhigung. Er entspannte sich ein wenig. Die Maria Escobar war fast drin, und die Jungs hatten sie fertig angetäut. Aldo saß oben in seinem Kran und wartete ungeduldig darauf, mit seinem Greifer zupacken zu können.
Franco trat die Zigarette auf dem Beton aus und warf einen Blick über den Hafen. Als er die unförmige Gestalt von Paulo Bonefacio über den Pier herbeiwatscheln sah, wurde er nervös.
Paulo, die Pest, nannte man den Zollbeamten, Il Peste, weil er gern herumstänkerte, die Leute hetzte, jeden einzelnen verfluchten Container überprüfen wollte und jedes noch so kleine Steinchen umdrehte. Als wollte der Kerl unbedingt die Ehren-medaille des italienischen Zollamts gewinnen. Was verdammt machte er hier? Eigentlich hätte er seinen freien Tag haben sollen. Laut Plan hatte Vincent Dienst, und nicht Bonefacio …
Il Peste kam direkt auf ihn zu. Er keuchte und schnaufte wie ein altes Dampfroß.
»Ciao, Franco«, knurrte er.
»Ciao. Was ist mit Vincente los?«
»Er ist krank«, antwortete Il Peste. »Was ist, haben Sie gedacht, Sie könnten es sich leichtmachen?«
Franco zwang sich dazu, das Lächeln zu erwidern. Die Escobar legte an, und die Gangway wurde herausgeschoben. Er fühlte, wie die Anspannung zurückkehrte. Heilige Jungfrau Maria. Von allen erdenklichen Idioten muß ausgerechnet Il Peste heute die Container überprüfen …
»Kommen Sie, Franco, sehen wir mal nach, was wir da haben, eh?«
Franco schluckte verstohlen und bemühte sich, weiterhin zu grinsen. »Klar.«
Der fette Zollbeamte knurrte und ging über den Pier an die Stelle, wo Aldo die Container absetzen würde, bevor die Wagen sie abholten und weitertransportierten.
Franco Scali folgte ihm und ließ ein lautloses Stoßgebet vom Stapel.
Aldo Celli ließ den Greifarm des Krans
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