Mecklenburg-Vorpommern. Anleitung für Ausspanner
Reformation zu. Der Rostocker Pastor Joachim Slüter zum Beispiel predigte auf Niederdeutsch, in der Sprache des Volkes. Das kam an. Slüter handelte
sich bei den Kirchenvätern ordentlich Ärger ein, aber seine Predigten waren so beliebt,dass er sie unter freiem Himmel halten musste,
weil die Kirchen zu klein wurden.
Angesichts einer Geschichte allerdings, die immer wieder den Rückzug des Landes in die völlige historische Bedeutungslosigkeit verzeichnet, verwundert
die Bedeutungslosigkeit der Sprache nicht. Zumal es zeitweise einen eklatanten Mangel an Sprachbenutzern gab. Als im Dreißigjährigen Krieg die Truppen
verschiedener Nationalitäten durch die Region zogen und sie verheerten, wurden mancherorts so viele Landeskinder umgebracht, dass man sich wundert,
überhaupt noch niederdeutsche Überlieferungen in gesprochener Sprache vorzufinden. 1640 war die ursprüngliche Bevölkerung Mecklenburgs von rund 300 000
Menschen auf weniger als ein Viertel geschrumpft. Wo niemand mehr da ist, um zu sprechen, muss geschwiegen werden.
Dennoch gibt es sogar niederdeutsche Literatur, und es überrascht nicht wenig, dass das Mecklenburger Platt einst das Zeug zum Bestseller hatte. Zu
verdanken ist das vor allem dem Autor Fritz Reuter (1810 bis 1874), der lange Romane ausschließlich auf Platt schrieb – und damit im 19. Jahrhundert ein
Millionenpublikum erreichte. Wer kein Plattdeutsch beherrschte, der lernte es eben. Vergleichbar ist das wahrscheinlich nur mit der Euphorie, die die
letzten beiden Harry-Potter-Bände in den englischen Originalausgaben in die deutschen Bestsellerlisten beförderte, weil selbst Sechst- und Siebtklässler
sich mit dem Roman und einem Wörterbuch unter der Bettdecke durch den Text arbeiteten.
Dabei begann Reuters Karriere zunächst als vom Vater ungeliebter Versager und Querulant, der keine Lust auf Schule und Studium hatte. Den negativen
Höhepunkterreichte sein Leben, als man ihn einkerkerte und zum Tode verurteilte, weil er sich einer der die deutsche Nation fordernden
Burschenschaften angeschlossen hatte. Das Urteil wurde jedoch aufgehoben und in milde 30 Jahre Haft umgewandelt, von denen Reuter immerhin noch sieben
absitzen musste. Als er auf freien Fuß kam, hatten die Jahre im Knast deutliche Spuren in dem jungen Mann hinterlassen. Der Biograph Julius Stinde
beschrieb den durch Reuters Alkoholismus vereitelten Versuch eines Neuanfangs in Heidelberg so: »Dort in der paradiesischen Gegend boten sich ihm die
langentbehrten Genüsse des Lebens, und er ergriff den schäumenden Becher der Freude mit brennender Hast.« Bis heute ist dieser Becher der Freude manchem
Mecklenburger und Vorpommer mehr als vertraut, allerdings ohne dass er zuvor im Zuchthaus gesessen hätte.
Reuter hatte seinen 40. Geburtstag schon hinter sich, als er sich zu literarischen Höhen aufschwang. Schuld daran war übrigens sein Bekannter Hoffmann
von Fallersleben (»Deutschland, Deutschland …«), der Reuter zum Schreiben animierte. Mit kleinen Texten, den »Läuschen un Rimels«, fing er an. Große
Romane teils mit autobiographischem Anstrich machten ihn berühmt. In Stavenhagen, wo er im Rathaus als Sohn des Bürgermeisters zur Welt kam, und in
Neubrandenburg, wo er lange lebte, sind ihm Gedenkstätten gewidmet. Fritz Reuter starb zwar im thüringischen Eisenach, aber die meiste Zeit seines Lebens
verbrachte er im Mecklenburgischen – in dem Landstrich, der auch Gegenstand seiner Texte ist.
Das ging nicht allen Autoren so, die sich um die mecklenburgische und vorpommersche Sprache und Kultur verdient machten. Uwe Johnson (1934 bis 1984)
zum Beispiel,bei dem sich Literaturexperten mittlerweile einig sind, dass er einer der großen Autoren des 20. Jahrhunderts ist. Johnson
wuchs in Anklam und dem Dorf Recknitz auf, in Güstrow ging er zur Schule, in Rostock begann er ein Germanistikstudium, das er in Leipzig beendete – mit
einer Arbeit über den Güstrower Bildhauer und Schriftsteller Ernst Barlach. Die DDR verließ er 1959 – einem wichtigen Jahr für die deutsche
Literatur. Denn in diesem erschienen nicht nur Johnsons »Mutmassungen über Jakob«, sondern auch Heinrich Bölls »Billard um halbzehn« und Günter Grass’
»Die Blechtrommel«. Als Uwe Johnson 1984 in seinem Häuschen in Sheerness-on-Sea auf einer kleinen Themse-Insel unter noch immer ungeklärten Umständen
starb, hinterließ er ein Werk, dessen geographische Pole New York und Mecklenburg
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